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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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goldenen Ankerknöpfen, unten lugten die Kniehosen hervor, gerollte Kniestrümpfe in meinen reichlich abgetragenen Schnürschuhen und jene weißrot gelackte Blechtrommel, die gleich beschaffen noch fünfmal in meinem Artistengepäck als Vorrat ruhte.
    Am Abend wiederholten wir die Vorstellung für Offiziere und die Blitzmädchen einer Nachrichtendienststelle in Cabourg. Roswitha war etwas nervös, machte zwar keine Fehler, setzte sich aber mitten in ihrer Nummer eine Sonnenbrille mit blauer Umrandung auf, schlug eine andere Tonart an, wurde direkter in ihren Prophezeiungen, sagte zum Beispiel zu einem blassen, vor Verlegenheit schnippischen Blitzmädchen, sie habe eine Liebschaft mit ihrem Vorgesetzten. Eine Offenbarung also, die mir peinlich war, im Saal aber Lacher genug fand, denn der Vorgesetzte saß wohl neben dem Blitzmädchen.
    Nach der Vorstellung gaben die Stabsoffiziere des Regimentes, die in dem Schloß Quartier genommen hatten, noch eine Party. Während Bebra, Kitty und Felix blieben, verabschiedeten die Raguna und Oskar sich unauffällig, gingen zu Bett, schliefen nach dem abwechslungsreichen Tag schnell ein und wurden erst um fünf Uhr früh durch die beginnende Invasion geweckt.
    Was soll ich Ihnen viel darüber berichten? In unserem Abschnitt, nahe der Ornemündung, landeten Kanadier. Bavent mußte geräumt werden. Wir hatten schon unser Gepäck verstaut. Mit dem Regimentsstab sollten wir zurückverlegt werden. Im Schloßhof hielt eine motorisierte, dampfende Feldküche. Roswitha bat mich, ihr einen Becher Kaffee zu holen, da sie noch nicht gefrühstückt hatte.
    Etwas nervös und besorgt, ich könnte den Anschluß an den Lastwagen verfehlen, weigerte ich mich und war auch eine Spur grob mit ihr. Da sprang sie selbst vom Wagen, lief mit dem Kochgeschirr in Stöckelschuhen auf die Feldküche zu und erreichte den heißen Morgenkaffee gleichzeitig mit einer dort einschlagenden Schiffsgranate.
    Oh, Roswitha, ich weiß nicht, wie alt du warst, weiß nur, daß du neunundneunzig Zentimeter maßest, daß aus dir das Mittelmeer sprach, daß du nach Zimmet röchest und nach Muskat, daß du allen Menschen ins Herz blicken konntest; nur in dein eigenes Herz blicktest du nicht, sonst wärest du bei mir geblieben und hättest dir nicht jenen viel zu heißen Kaffee geholt!
    Es .gelang Bebra in Lisieux, für uns einen Marschbefehl nach Berlin zu erwirken. Als er vor der Kommandantur zu uns stieß, sprach er erstmals seit Roswithas Hingang: »Wir Zwerge und Narren sollten nicht auf einem Beton tanzen, der für Riesen gestampft und hart wurde! Wären wir nur unter den Tribünen geblieben, wo uns niemand vermutete.«
    In Berlin trennte ich mich von Bebra. »Was willst du in all den Luftschutzkellern ohne deine Roswitha!« lächelte er spinnwebendünn, küßte mich auf die Stirn, gab mir Kitty und Felix mit Dienstreisepapieren versehen bis zum Hauptbahnhof Danzig als Reisebegleitung mit, schenkte mir auch die restlichen fünf Trommeln aus dem Artistengepäck; und so versorgt, auch nach wie vor mit meinem Buch versehen, traf ich am elften Juni vierundvierzig, einen Tag vor meines Sohnes drittem Geburtstag, in der Heimatstadt ein, die noch immer unversehrt und mittelalterlich von Stunde zu Stunde mit verschieden großen Glocken von verschieden hohen Kirchtürmen lärmte.

DIE NACHFOLGE CHRISTI
    Nun ja, die Heimkehr! Um zwanzig Uhr vier traf der Fronturlauberzug in Danzig Hauptbahnhof ein.
    Felix und Kitty brachten mich bis zum Max-Halbe-Platz, verabschiedeten sich, wobei Kitty zu Tränen kam, suchten dann ihre Leitstelle in Hochstrieß auf, und Oskar stiefelte kurz vor einundzwanzig Uhr mit seinem Gepäck durch den Labesweg.
    Die Heimkehr. Eine weitverbreitete Unsitte macht heutzutage jeden jungen Mann, der einen kleinen Wechsel fälschte, deshalb in die Fremdenlegion ging, nach ein paar Jährchen etwas älter geworden heimkehrt und Geschichten erzählt, zu einem modernen Odysseus. Manch einer setzt sich zerstreut in den falschen Zug, fährt nach Oberhausen und nicht nach Frankfurt, erlebt etwas unterwegs — wie sollte er nicht — und wirft, kaum heimgekehrt, mit Namen wie Circe, Penelope und Telemachos um sich.
    Oskar war alleine schon deshalb kein Odysseus, weil er bei seiner Heimkehr alles unverändert fand.
    Seine geliebte Maria, die er ja als Odysseus Penelope nennen müßte, wurde nicht von geilen Freiern umschwärmt, die hatte noch immer ihren Matzerath, für den sie sich schon lange vor Oskars Abreise entschieden

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