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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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hatte. Auch fällt es den Gebildeten unter Ihnen hoffentlich nicht ein, in meiner armen Roswitha wegen ihrer einstigen somnambulen Berufstätigkeit eine männerbetörende Circe zu sehen.
    Was endlich meinen Sohn Kurt angeht, so machte der für seinen Vater keinen Finger krumm, war also mitnichten ein Telemachos, auch wenn er Oskar nicht wiedererkannte.
    Wenn schon Vergleich — und ich sehe ein, daß ein Heimkehrer sich Vergleiche gefallen lassen muß — dann will ich für Sie der biblische verlorene Sohn sein; denn Matzerath machte die Tür auf, empfing mich wie ein Vater und nicht wie ein mutmaßlicher Vater. Ja, er verstand es, sich so über Oskars Heimkehr zu freuen, kam auch zu echten, sprachlosen Tränen, daß ich mich von jenem Tage an nicht nur ausschließlich Oskar Bronski, sondern auch Oskar Matzerath nannte.
    Maria nahm mich gelassener, doch nicht unfreundlich auf. Sie saß am Tisch, klebte Lebensmittelmarken fürs Wirtschaftsamt und hatte auf dem Rauchtischchen schon einige noch verpackte Geburtstagsgeschenke für Kurtchen gestapelt. Praktisch wie sie war, dachte sie zuerst an mein Wohlbefinden, zog mich aus, badete mich wie in alten Zeiten, übersah mein Erröten und setzte mich im Schlafanzug an den Tisch, auf dem Matzerath mir inzwischen Spiegeleier und Bratkartoffeln servierte. Milch trank ich dazu, und während ich aß und trank, begann die Fragerei:
    »Wo warste nur, überall harn wä jesucht, und de Polizei hat auch jesucht wie varückt, und vor Jericht mußten wir und beeidigen, daß wir dir nich über Eck jebracht hätten. Na, nu biste ja da. Aber Scherereien hattes jenug jemacht und wirtes wohl noch machen, denn nu missen wä dir wieder anmelden. Hoffentlich wolln se dir nich inne Anstalt stecken. Vädient hastes ja. Laifst davon un sagst nischt!«
    Maria bewies Weitblick. Es gab Scherereien. Ein Beamter vom Gesundheitsministerium kam, sprach vertraulich mit Matzerath, aber Matzerath schrie laut, daß man es hören konnte: »Das kommt gar nicht in Frage, das habe ich meiner Frau am Totenbett versprechen müssen, ich bin der Vater und nicht die Gesundheitspolizei!«
    Ich kam also nicht in die Anstalt. Aber von jenem Tage an traf alle zwei Wochen ein amtliches Brieflein ein, das den Matzerath zu einer kleinen Unterschrift aufforderte; doch Matzerath wollte nicht unterschreiben, legte aber sein Gesicht in Sorgenfalten.
    Oskar hat vorgegriffen, muß wieder Matzeraths Gesicht glätten, denn am Abend meiner Ankunft strahlte er, machte sich viel weniger Gedanken als Maria, fragte auch weniger, ließ es mit meiner glücklichen Heimkehr genug sein, benahm sich also wie ein rechter Vater und sagte, als man mich bei der etwas verdutzten Mutter Truczinski zu Bett brachte: »Was wird sich doch das Kurtchen freuen, daß es wieder ein Brüderchen hat. Und obendrein feiern wir morgen Kurtchens dritten Geburtstag.«
    Mein Sohn Kurt fand auf seinem Geburtstagstisch außer dem Kuchen mit den drei Kerzen einen weinroten Pullover von Gretchen Scheffels Hand, den er gar nicht beachtete. Einen scheußlichen gelben Gummiball gab es, auf den er sich setzte, den er ritt und schließlich mit einem Küchenmesser anstach. Dann saugte er aus der Gummiwunde jenes ekelhaft süße Wasser, das sich in allen luftgekühlten Bällen niederschlägt. Kaum hatte der Ball seine nicht mehr zu vertreibende Beule, begann Kurtchen, das Segelschiff abzutakeln und in ein Wrack zu verwandeln. Unberührt, doch beängstigend handlich blieben Brummkreisel und Peitsche liegen.
    Oskar, der seines Sohnes Geburtstag schon lange im voraus bedacht hatte, der mitten aus rabiatestem Zeitgeschehen gen Osten eilte, damit er den dritten Geburtstag seines Stammhalters nicht versäumte, er stand abseits, sah dem zerstörerischen Werk zu, bewunderte den resoluten Knaben, verglich seine körperlichen Ausmaße mit denen seines Sohnes, und etwas nachdenklich gestand ich mir ein: das Kurtchen ist dir während deiner Abwesenheit über den Kopf gewachsen, jene vierundneunzig Zentimeter, die du dir seit deinem fast siebzehn Jahre zurückliegenden dritten Geburtstag zu erhalten verstanden hast, überragt das Jüngelchen um glatte zwei bis drei Zentimeter; es ist an der Zeit, ihn zum Blechtrommler zu machen und jenem voreiligen Wachstum ein energisches »Genug!« zuzurufen.
    Aus meinem Artistengepäck, das ich mit dem großen Bildungsbuch auf dem Trockenboden hinter den Dachpfannen versorgt hatte, holte ich ein blitzblank fabrikneues Blech und wollte meinem Sohn —

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