Die Blechtrommel
da die Erwachsenen es nicht taten — dieselbe Chance bieten, die meine arme Mama, ein Versprechen haltend, mir an meinem dritten Geburtstag geboten hatte.
Mit gutem Grund durfte ich annehmen, daß Matzerath, der einst mich fürs Geschäft bestimmt hatte, nun, nach meinem Versagen, in Kurtchen den zukünftigen Kolonialwarenhändler sah. Wenn ich jetzt sage: Das mußte verhütet werden! sehen Sie bitte in Oskar keinen ausgemachten Feind des Einzelhandels. Ein mir oder meinem Sohn in Aussicht gestellter Fabrikkonzern, ein zu erbendes Königreich mit dazugehörenden Kolonien, hätte mich genauso handeln lassen. Oskar wollte nichts aus zweiter Hand übernehmen, wollte deshalb seinen Sohn zu ähnlichem Handeln bewegen, ihn — und hier lag mein Denkfehler — zum Blechtrommler einer permanenten Dreijährigkeit machen, als wäre die Übernahme einer Blechtrommel für einen jungen, hoffnungsvollen Menschen nicht gleich scheußlich wie die Übernahme eines Kolonialwarengeschäftes.
So denkt Oskar heute. Doch damals gab es für ihn nur ein einziges Wollen: es galt, einen trommelnden Sohn an die Seite eines trommelnden Vaters zu stellen, es galt, zweimal von unten her trommelnd, den Erwachsenen zuzuschauen, es galt, eine zeugungsfähige Trommlerdynastie zu begründen; denn mein Werk sollte von Generation zu Generation blechern und weißrot gelackt übermittelt werden.
Was für ein Leben stand uns bevor! Wir hätten nebeneinander aber auch in verschiedenen Zimmern, wir hätten Seite an Seite, aber auch er im Labesweg, ich in der Luisenstraße, er im Keller, ich auf dem Dachboden, Kurtchen in der Küche, Oskar auf dem Abtritt, Vater und Sohn hätten hier und dort und gelegentlich zusammen aufs Blech schlagen können, hätten bei günstiger Gelegenheit alle beide meiner Großmutter, seiner Urgroßmutter Anna Koljaiczek unter die Röcke schlüpfen, dort wohnen, trommeln und den Geruch leicht ranziger Butter einatmen können. Vor ihrer Pforte hockend, hätte ich zum Kurtchen gesagt: »Schau nur hinein, mein Sohn. Von dort her kommen wir. Und wenn du schön brav bist, dürfen wir für ein Stündchen oder länger zurück und die dort wartende Gesellschaft besuchen.«
Und das Kurtchen hätte sich unter den Röcken vorgebeugt, hätte ein Auge riskiert und mich, seinen Vater, höflich fragend um Erklärungen gebeten.
»Jene schöne Dame«, hätte Oskar geflüstert, »die dort in der Mitte sitzt, mit ihren schönen Händen spielt und ein so sanft ovales Gesicht hat, daß man weinen könnte, das ist meine arme Mama, deine gute Großmutter, die an einem Gericht Aalsuppe oder am eigenen übersüßen Herzen starb.«
»Weiter, Papa, weiter!« hätte das Kurtchen gedrängt. »Wer ist der Mann mit dem Schnauz?«
Geheimnisvoll hätte ich dann die Stimme gesenkt: »Das ist dein Urgroßvater, der Joseph Koljaiczek.
Achte auf seine flackernden Brandstifteraugen, auf die göttlich polnische Verstiegenheit und die praktisch kaschubische Verschlagenheit über seiner Nasenwurzel. Bemerke bitte auch die Schwimmhäute zwischen seinen Zehen. Im Jahre dreizehn, als die >Columbus< vom Stapel lief, geriet er unter ein Holzfloß, mußte lange schwimmen, bis er nach Amerika kam und dort Millionär wurde.
Doch manchmal geht er wieder zu Wasser, schwimmt zurück, taucht hier unter, wo er erstmals als Brandstifter Schutz gefunden und seinen Teil zu meiner Mama spendete.«
»Doch jener schöne Herr, der sich bis jetzt hinter der Dame, die meine Großmutter ist, versteckt hielt, der sich jetzt neben sie setzt und ihre Hände mit seinen Händen streichelt? Er hat genau so blaue Augen wie du, Papa!«
Da hätte ich allen Mut zusammennehmen müssen, um als schlechter, verräterischer Sohn meinem braven Kinde antworten zu können: »Das sind die wunderbaren blauen Augen der Bronskis, die dich, mein Kurtchen anschauen. Dein Blick ist zwar grau. Den hast du von deiner Mutter. Dennoch bist du genau wie jener Jan, der meiner armen Mama die Hände küßt, wie dessen Vater Vinzent ein durch und durch wunderbarer, dennoch kaschubisch realer Bronski. Eines Tages kehren auch wir dorthin zurück, gehen der Quelle nach, die den leicht ranzigen Buttergeruch verbreitet. Freue dich!«
Erst im Inneren meiner Großmutter Koljaiczek oder, wie ich es scherzhaft nannte, im großmütterlichen Butterfaß wäre es meinen damaligen Theorien nach zu einem wahren Familienleben gekommen.
Selbst heute, da ich Gottvater, den eingeborenen Sohn und, was noch wichtiger ist, den Geist
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