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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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und stoppte das Karussell. Feuerwehr, Schwan und Hirsch stellte er ab, entwertete die Münzen des Rasputin, schickte Goethe hinab zu den Müttern, ließ viertausend schwindlige Kleinkinderchen davonwehen, nach Käsemark über die Weichsel ins Himmelreich — und hob Oskar aus seinem Fieberbett, setzte ihn auf eine Lysolwolke, was heißen soll, er desinfizierte mich.
    Das hing anfangs noch mit den Läusen zusammen und wurde dann zur Gewohnheit. Die Läuse entdeckte er zuerst bei Kurtchen, dann bei mir, bei Maria und bei sich. Wahrscheinlich hatte uns jener Kalmücke die Läuse hinterlassen, der Maria den Matzerath genommen hatte. Wie schrie der Herr Fajngold, als er die Läuse entdeckte. Nach seiner Frau und seinen Kindern rief er, verdächtigte seine ganze Familie des Ungeziefers, handelte Pakete verschiedenartigster Desinfektionsmittel gegen Kunsthonig und Haferflocken ein und begann, sich selbst, seine ganze Familie, das Kurtchen, Maria und mich, auch mein Krankenbett tagtäglich zu desinfizieren. Er rieb uns ein, bespritzte und puderte uns. Und während er spritzte, puderte und einrieb, blühte mein Fieber, floß seine Rede, erfuhr ich von Güterwagen voller Karbol, Chlor und Lysol, die er gespritzt, gestreut und gesprenkelt hatte, als er noch Desinfektor im Lager Treblinka gewesen war und jeden Mittag um zwei die Lagerstraßen, Baracken, die Duschräume, Verbrennungsöfen, die gebündelten Kleider, die Wartenden, die noch nicht geduscht hatten, die Liegenden, die schon geduscht hatten, alles was aus den Öfen herauskam, alles was in die Öfen hineinwollte, als Desinfektor Mariusz Fajngold tagtäglich mit Lysolwasser besprenkelt hatte. Und er zählte mir die Namen auf, denn er kannte alle Namen: vom Bilauer erzählte er, der dem Desinfektor eines Tages im heißesten August geraten hatte, die Lagerstraßen von Treblinka nicht mit Lysolwasser, sondern mit Petroleum zu besprenkeln. Das tat Herr Fajngold. Und der Bilauer hatte das Streichholz. Und der alte Zew Kurland von der ZOB nahm allen den Eid. ab.
    Und der Ingenieur Galewski brach die Waffenkammer auf. Und der Bilauer erschoß den Herrn Hauptsturmführer Kutner. Und der Sztulbach und der Wary ski rauf auf den Zisenis. Und die anderen gegen die Trawnikileute. Und ganz andere knipsten den Zaun auf und fielen um. Aber der Unterscharführer Schöpke, der immer Witzchen zu machen pflegte, wenn er die Leute zum Duschen führte, der stand im Lagertor und schoß. Doch das half ihm nichts, weil die anderen über ihn rüber: der Adek Kawe, der Motel Lewit und Henoch Lerer, auch Hersz Rotblat und Letek agiel und Tosias Baran mit seiner Debora. Und Lolek Begelmann schrie: »Auch der Fajngold soll kommen, bevor die Flugzeuge kommen.« Aber Herr Fajngold wartete noch auf seine Frau Luba. Doch die kam schon damals nicht, wenn er nach ihr rief. Da packten sie ihn links und rechts. Links der Jakub Gelernter und rechts der Mordechaj Szwarcbard. Und vor ihm lief der kleine Doktor Atlas, der schon im Lager Treblinka, der später noch in den Wäldern bei Wilna zum fleißigsten Lysolsprenkeln geraten hatte, der behauptete: Lysol ist wichtiger als das Leben! Und Herr Fajngold konnte das nur bestätigen; denn er hatte ja Tote,nicht einen Toten, nein Tote, was soll ich eine Zahl sagen, Tote, sag ich, gab es, die er mit Lysol besprenkelt hatte. Und Namen wußte er, daß es langweilig wurde, daß mir, der ich im Lysol schwamm, die Frage nach Leben oder Tod von hunderttausend Namen nicht so wichtig war wie die Frage, ob man das Leben, und wenn nicht das Leben, dann den Tod mit Herrn Fajngolds Desinfektionsmitteln auch rechtzeitig und ausreichend desinfiziert hatte.
    Dann aber ließ mein Fieber nach und es wurde April. Dann nahm mein Fieber wieder zu, das Karussell drehte sich, und Herr Fajngold sprenkelte Lysol auf Tote und Lebende. Dann ließ mein Fieber wieder nach, und der April war zu Ende. Anfang Mai wurde mein Hals kürzer, der Brustkorb weitete sich, rutschte höher hinauf, so daß ich mit dem Kinn, ohne den Kopf senken zu müssen, Oskars Schlüsselbein reiben konnte. Es kam noch einmal etwas Fieber und etwas Lysol. Auch hörte ich Maria im Lysol schwimmende Worte flüstern: »Wenn er sich nur nich verwächst. Wenn es man nur nich zu nem Buckel mecht kommen. Wenn das man bloß kein Wasserkopp mecht werden!«
    Herr Fajngold jedoch tröstete Maria, erzählte ihr von Leuten, die er gekannt habe, die es trotz Buckel und Wasserkopf zu etwas gebracht hätten. Von einem Roman Frydrydi

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