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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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standen, und dem geräumigen Ehebett verschwand. Schon der Rand des dritten Teppichs, blau war der und gemustert, lief übersichtlich von Ecke zu Ecke. Dem vierten Teppich, einem weinroten Velours fiel die Aufgabe zu, den runden, mit schonendem Wachstuch bezogenen Ausziehtisch und vier ledergepolsterte, regelmäßig mit Metallnieten beschlagene Stühle zu tragen.
    Da noch mehrere Teppiche, die eigentlich keine Wandteppiche waren, an den Wänden hingen, auch gerollt in den Ecken lümmelten, nahm Oskar an, daß der Igel vor der Währungsreform mit Teppichen gehandelt hatte und nach der Reform auf den Teppichen sitzengeblieben war.
    Als einziges Bild hing zwischen orientalisch anmutenden Brücken das verglaste Bildnis des Fürsten Bismarck an der Fensterwand. Der Igel saß, einen Ledersessel füllend, unter dem Kanzler, hatte mit dem eine gewisse Familienähnlichkeit. Als er mir das Ummeldeformular aus der Hand zog, beide Seiten des amtlichen Vordruckes wach, kritisch, auch ungeduldig studierte, zwang ihm die geflüsterte Frage seiner Frau, ob etwas nicht in Ordnung sei, einen Zornesausbruch auf, der ihn mehr und mehr in die Nähe des eisernen Kanzlers trieb. Der Sessel spie ihn aus. Auf vier Teppichen stand er, hielt das Formular seitwärts, füllte sich und seine Weste mit Luft, war dann mit einem Sprung auf dem ersten und zweiten Teppich, überschüttete seine inzwischen über Näharbeit gebeugte Frau mit einem Satz wie: wersprichthierwennnichtgefragtistundhatnichtszusagennurichichich! Keinwortmehr!
    Da Frau Zeidler auch brav an sich hielt, kein Wörtchen von sich gab und nur die Näharbeit stichelte, bestand das Problem für den ohnmächtig die Teppiche tretenden Igel darin, seinen Zorn glaubwürdig nachklingen, ausklingen zu lassen. Mit einem Schritt stand er vor der Vitrine, öffnete die, daß es klirrte, griff vorsichtig mit gespreizten Fingern acht Likörgläser, zog die überladenen Griffe, ohne Schaden anzurichten, aus der Vitrine, pirschte sich Schrittchen für Schrittchen — ein Gastgeber, der sieben Gäste und sich selbst mit einer Geschicklichkeitsübung unterhalten will — in Richtung grüngekachelter Dauerbrandofen und schleuderte, nun alle Vorsicht vergessend, die zerbrechliche Fracht gegen die kalte, gußeiserne Ofentür.
    Erstaunlich war, daß der Igel während dieser Szene, die doch einige Zielsicherheit verlangte, seine Frau, die sich erhoben hatte und in der Nähe des rechten Fensters einen Faden ins Nadelöhr einzufädeln versuchte, im Brillenauge behielt. Eine Sekunde, nachdem er die Gläser zerscherbt hatte, gelang ihr der schwierige, eine ruhige Hand beweisende Versuch. Frau Zeidler kehrte zu ihrem noch warmen Sessel zurück, setzte sich so, daß abermals das Kostüm verrutschte und dreifingerbreit Unterwäsche deutlich und rosa wurde. Der Igel hatte den Weg seiner Frau zum Fenster, das Fadeneinfädeln und ihren Rückweg vorgebeugt hechelnd, aber dennoch ergeben beobachtet. Kaum saß sie, griff er hinter den Ofen, fand dort ein Kehrblech und einen Handfeger, fegte die Scherben zusammen, schüttete den Kehricht auf ein Zeitungspapier, das schon zur Hälfte mit Likörgläserscherben bedeckt war und für ein drittes zorniges Glaszerbrechen keinen Platz mehr gehabt hätte.
    Wenn nun der Leser meint, Oskar habe in dem glaszerschmeißenden Igel sich selbst, den während Jahren glaszersingenden Oskar erkannt, kann ich dem Leser nicht ganz und gar Unrecht geben; auch ich liebte es einst, meinen Zorn in Glasscherben zu verwandeln — doch niemand hat mich jemals zu Kehrblech und Handfeger greifen sehen!
    Nachdem Zeidler, die Spuren seines Zornes beseitigt hatte, fand er in seinen Sessel zurück. Abermals reichte ihm Oskar jenes Anmeldeformular, das der Igel fallen lassen mußte, als er mit beiden Händen in die Vitrine griff.
    Zeidler unterschrieb das Formular und gab mir zu verstehen, daß bei ihm in der Wohnung Ordnung herrschen müsse, wo komme man sonst hin, schließlich sei er seit fünfzehn Jahren Vertreter, und zwar Vertreter für Haarschneidemaschinen, ob ich wisse, was das sei, eine Haarschneidemaschine!
    Oskar wußte, was eine Haarschneidemaschine ist, und machte auch einige erklärende Bewegungen durch die Zimmerluft, denen Zeidler entnehmen konnte, daß ich in punkto Haarschneidemaschinen auf dem laufenden war. Seine gutgeschnittene Bürste erlaubte, in ihm einen guten Vertreter zu sehen.
    Nachdem er mir sein Arbeitssystemerklärt hatte — er reiste immer eine Woche, blieb dann zwei Tage

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