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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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zu Hause — verlor er alles Interesse an Oskar, schaukelte nur noch iglig im hellbraunen, knarrenden Leder, blitzte mit Brillengläsern, sagte mit oder ohne Grund: jajajajajaja — ich mußte gehen.
    Zuerst verabschiedete sich Oskar von Frau Zeidler. Die Frau hatte eine kalte, knochenlose, aber trockene Hand. Der Igel winkte vom Sessel aus, winkte mich gegen die Tür, wo Oskars Gepäck stand.
    Schon hatte ich die Hände voll, da kam seine Stimme: »Was harn Se denn da baumeln, am Koffer?«
    »Das ist meine Blechtrommel.«
    »Denn wollen Se also hier trommeln?«
    »Nicht unbedingt. Früher trommelte ich häufig.«
    »Von mir aus können Se schon. Bin ja sowieso nich zu Hause.«
    »Es bestehen kaum Aussichten, daß ich jemals wieder zum Trommeln komme.«
    »Und warum sind Se so klein geblieben, na?«
    »Ein unglücklicher Sturz hemmte mein Wachstum.«
    »Daß Se mir bloß keine Scherereien machen, mit Anfälle und so-was!«
    »Während der letzten Jahre hat sich mein Gesundheitszustand mehr und mehr gebessert. Schauen Sie nur, wie beweglich ich bin.« Da machte Oskar Herrn und Frau Zeidler einige Sprünge und beinahe akrobatische Übungen, die er während seiner Fronttheaterzeit gelernt hatte, vor, machte sie zu einer kichernden Frau Zeidler, ihn zu einem Igel, der sich noch auf die Schenkel schlug, als ich schon auf dem Korridor stand und an der Milchglastür der Krankenschwester, der Toiletten-, Küchentür vorbei, mein Gepäck mit Trommel in mein Zimmer trug.
    Das war Anfang Mai. Von jenem Tag an versuchte, besetzte, eroberte mich das Mysterium Krankenschwester: Pflegerinnen machten mich krank, wahrscheinlich unheilbar krank, denn selbst heute, da ich das alles hinter mir habe, widerspreche ich meinem Pfleger Bruno, der geradeweg behauptet: Nur Männer können wahrhaft Krankenpfleger sein, die Sucht der Patienten, sich von Krankenschwestern pflegen zu lassen, ist ein Krankheitssymptom mehr; während der Krankenpfleger den Patienten mühevoll pflegt und manchmal heilt, geht die Krankenschwester den weiblichen Weg: sie verführt den Patienten zur Genesung oder zum Tode, den sie leicht erotisiert und schmackhaft macht.
    Soweit mein Pfleger Bruno, dem ich nur ungern recht gebe. Wer sich wie ich alle paar Jahre sein Leben durch Krankenschwestern bestätigen ließ, bewahrt sich Dankbarkeit, erlaubt einem mürrischen, wenn auch sympathischen Krankenpfleger nicht so bald-, daß der ihm voller Berufsneid seine Schwestern entfremdet.
    Das begann mit dem Sturz von der Kellertreppe, anläßlich meines dritten Geburtstages. Ich glaube, sie hieß Schwester, Lotte und kam aus Praust. Die Schwester Inge des Doktor Hollatz blieb mir mehrere Jahre lang erhalten. Nach der Verteidigung der Polnischen Post verfiel ich mehreren Krankenschwestern gleichzeitig. Nur der Name einer Schwester ist mir geblieben: sie hieß Schwester Erni oder Berni. Namenlose Krankenschwestern in Lüneburg, in der Universitätsklinik Hannover. Dann die Schwestern der Städtischen Krankenanstalten Düsseldorf, allen voran Schwester Gertrud. Dann jedoch kam sie, ohne daß ich ein Krankenhaus aufsuchen mußte. Bei bester Gesundheit verfiel Oskar einer Krankenschwester, die in Zeidlers Wohnung gleich ihm als Untermieterin wohnte. Von jenem Tage an war mir die Welt voller Krankenschwestern. Ging ich am frühen Morgen zur Arbeit, wollte zum Korneff schriftklopfen, hieß meine Haltestelle Marienhospital. Immer gab es da vor dem Backsteinportal und auf dem mit Blumen überladenen Vorplatz des Hospitals Krankenschwestern, die gingen oder kamen. Schwestern also, die ihren anstrengenden Dienst hinter sich oder vor sich hatten. Dann kam die Bahn. Oftmals ließ es sich nicht vermeiden, daß ich mit einigen dieser erschöpft, zumindest abgespannt dreinblickenden Pflegerinnen im selben Anhänger saß, auf dem selben Perron stand. Anfangs roch ich sie widerwillig, bald ging ich ihrem Geruch nach, stellte mich neben, sogar zwischen ihre Berufskleidung.
    Dann der Bittweg. Bei gutem Wetter klopfte ich draußen, zwischen der Grabsteinausstellung die Schrift, sah wie sie kamen, zu zweit, zu viert, Arm in Arm, hatten ihre Freistunde, schwatzten und zwangen Oskar, von seinem Diabas aufzublicken, seine Arbeit zu vernachlässigen, denn jedes Aufblicken kostete mich zwanzig Pfennige.
    Kinoplakate: Es hat in Deutschland immer schon viele Filme mit Krankenschwestern gegeben. Maria Schell lockte mich in die Kinos. Sie trug Schwesterntracht, lachte, weinte, pflegte aufopferungsvoll,

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