Die Blechtrommel
aufrecht, bekam diese Antworten, die sich, wie Oskar flüchtig feststellte, albern und nichtssagend lasen.
Einiges erfuhr ich dennoch über Schwester Dorotheas Vorleben aus jenen Postkarten, die auf den Vorderseiten zumeist die mit Efeu berankten Fassaden von Krankenhäusern zeigten: sie, die Schwester, hatte eine Zeitlang im Vinzenthospital Köln, in einer Privatklinik bei Aachen, auch in Hildesheim gearbeitet. Von dort her schrieb auch ihre Mutter. Sie stammte also entweder aus Niedersachsen oder war wie Oskar ein Ostflüchtling, hatte dort kurz nach dem Krieg Zuflucht gefunden. Ferner erfuhr ich, daß Schwester Dorothea ganz in der Nähe, im Marienhospital, arbeitete, mit einer Schwester Beate eng befreundet sein mußte, denn viele Postkarten wiesen auf diese Freundschaft hin, brachten auch Grüße für jene Beate.
Sie beunruhigte mich, die Freundin. Oskar spekulierte mit ihrer Existenz. Briefe an die Beate setzte ich auf, bat in dem einen Brief um Fürsprache, verschwieg im nächsten die Dorothea, wollte mich zuerst an die Beate heranmachen und dann zur Freundin überwechseln. Fünf oder sechs Briefe entwarf ich, hatte auch schon einige im Kuvert, war auf dem Wege zum Postkasten und schickte dennoch keinen ab.
Vielleicht aber hätte ich dennoch eines Tages, toll wie ich war, solch einen Schrieb an die Schwester Beate abgeschickt, hätte sich nicht an einem Montag — damals begann Maria das Verhältnis mit ihrem Arbeitgeber, dem Stenzel, was mich merkwürdigerweise kalt ließ — jener Brief auf dem Korridor gefunden, der meine Leidenschaft, der es nicht an Liebe mangelte, in Eifersucht umbog.
Der vorgedruckte Absender sagte mir, daß da ein Dr. Erich Werner — Marienhospital, der Schwester Dorothea einen Brief geschrieben hatte. Am Dienstag traf ein zweiter Brief ein. Den dritten Brief brachte der Donnerstag. Wie war es an jenem Donnerstag? Oskar fand in sein Zimmer zurück, fiel auf einen der Küchenstühle, die zum Mobiliar gehörten, zog Marias wöchentliches Schreiben aus der Schlafanzugtasche — trotz ihres neuen Verehrers schrieb Maria weiterhin pünktlich, säuberlich, nichts auslassend — öffnete sogar das Kuvert, las und las doch nicht, hörte Frau Zeidler auf dem Flur, gleich darauf ihre Stimme; sie rief den Herrn Münzer, der aber nicht antwortete, dennoch zu Hause sein mußte, denn die Zeidlersche öffnete seine Zimmertür, reichte ihm die Post hinein und hörte nicht auf, auf ihn einzureden.Mir verging die Stimme der Frau Zeidler, noch während sie sprach. Dem Irrsinn der Tapete überließ ich mich, dem senkrechten, waagerechten, dem diagonalen Irrsinn, dem kurvenden, vertausendfachten Irrsinn, fand mich als Matzerath, aß mit ihm das verdächtig bekömmliche Brot aller Betrogenen, ließ es mir leichtfallen, meinen Jan Bronski zu einem billig verzeichneten, satanisch geschminkten Verführer zu kostümieren, der einmal im herkömmlichen Paletot mit Sammetkragen, dann im Arztkittel des Dr. Hollatz, gleich darauf als Chirurg Dr. Werner auftrat, um zu verführen, zu verderben, zu schänden, zu kränken, zu schlagen, zu quälen — um all das zu tun, was ein Verführer anstellen muß, damit er glaubwürdig bleibt.
Heute darf ich lächeln, wenn ich mir jenen Einfall zurückrufe, der Oskar damals gelb und tapetenirr werden ließ: Medizin wollte ich studieren, möglichst rasch. Arzt wollte ich werden, und zwar im Marienhospital. Den Dr. Werner wollte ich vertreiben, bloßstellen, ihn der Pfuscherei, ja sogar der fahrlässigen Tötung während einer Kehlkopfoperation bezichtigen. Nie, sollte sich herausstellen, war jener Herr Werner ein studierter Doktor gewesen. Während des Krieges arbeitete er in einem Feldlazarett, eignete sich dort einige Kenntnisse an: fort mit dem Schwindler! Und Oskar wurde zum Chefarzt, so jung und dennoch auf verantwortlichem Posten. Ein neuer Sauerbruch schritt dort, von Schwester Dorothea als Operationsschwester begleitet, von einem weißgekleideten Gefolge umgeben, durch hallende Korridore, machte Visite, entschloß sich in letzter Minute zur Operation. - Wie gut, daß dieser Film nie gedreht wurde!
IM KLEIDERSCHRANK
Nun soll niemand glauben, daß Oskar nur noch für Krankenschwestern zu sprechen war. Schließlich hatte ich mein Berufsleben! Das Sommersemester auf der Kunstakademie hatte angefangen, die Gelegenheitsarbeit des Schriftklopfens während der Ferien mußte ich aufgeben, denn Oskar hatte gegen gute Bezahlung stillzuhalten, alte Stilmittel mußten sich ihm
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