Die Blechtrommel
gegenüber bewähren, neue Stile erprobten sich an mir und der Muse Ulla; man hob unsere Gegenständlichkeit auf, man resignierte, verleugnete uns, warf Linien, Vierecke, Spiralen, lauter auswendiges Zeug, das sich allenfalls auf Tapeten bewährt hätte, auf Leinwände und Zeichenbögen, gab den Gebrauchsmustern, denen es an nichts anderem als an Oskar und Ulla, also an geheimnisvoller Spannung fehlte, marktschreierische Titel wie: Aufwärts geflochten. Gesang-über der Zeit. Rot in neuen Räumen. Das taten vor allem die jungen Semester, die noch nicht recht zeichnen konnten. Meine alten Freunde um Professor Kuchen und Maruhn, die Meisterschüler Ziege und Raskolnikoff waren an Schwärze und Farbe zu reich, um mit blassen Kringeln und dünnblütigen Linien der Armut ein Loblied zu singen.
Die Muse Ulla aber, die, wenn sie irdisch wurde, einen recht kunstgewerblichen Geschmack an den Tag legte, erwärmte sich derart für die neuen Tapeten, daß sie den Maler Lankes, der sie verlassen hatte, schnell vergaß und die verschieden großen Dekorationen eines schon älteren Malers, Meitel mit Namen, hübsch, lustig, drollig, phantastisch, enorm und sogar chic fand. Daß sie sich mit dem Künstler, der Formen wie übersüße Ostereier bevorzugte, alsbald verlobte, will nicht viel sagen; sie fand später noch oft Gelegenheit zur Verlobung und steht augenblicklich — sie verriet es mir, als sie mich vorgestern besuchte und mir und Bruno Bonbons mitbrachte — kurz vor einer, wie sie es immer schon ausdrückte, ernsthaften Bindung.
Bei Semesteranfang wollte Ulla als Muse überhaupt nur der neuen, wie sie gar nicht merkte, ach so blinden Richtung ihren Anblick gönnen. Ihr Ostereiermaler, der Meitel, hatte ihr diesen Floh ins Ohr gesetzt, hatte ihr als Verlobungsgeschenk einen Wortschatz vermittelt, den sie in Kunstgesprächen mit mir ausprobierte. Von Rapporten sprach sie, von Konstellationen, Akzenten, Perspektiven, von Rieselstrukturen, Schmelzprozessen, Erosionsphänomenen. Sie, die den Tag über nur Bananen aß und Tomatenjuice trank, sie sprach von Urzellen, von Farbatomen, die in dynamischer Rasanz in ihren Kraftfeldern nicht nur ihre natürliche Lage fänden, sondern darüber hinaus ... So etwas sprach Ulla mit mir während der Modellpausen, auch wenn wir gelegentlich in der Ratinger Straße einen Kaffee tranken. Selbst als die Verlobung mit dem dynamischen Ostereiermaler nicht mehr bestand, als sie nach kürzester Episode mit einer Lesbierin einem Schüler Kuchens und damit wieder der gegenständlichen Welt zufiel, blieb ihr noch jener Wortschatz, der ihr kleines Gesicht dergestalt anstrengte, daß sich zwei scharfe, etwas fanatische Fältchen um ihren Musenmund gruben.
Es sei hier zugegeben, daß es nicht ausschließlich Raskolnikoffs Idee war, die Muse Ulla als Krankenschwester neben Oskar zu malen. Nach der Madonna 49 malte er uns als »Die Entführung der Europa« — der Stier, das war ich. Und gleich nach der etwas umstrittenen Entführung entstand das Bild: »Der Narr heilt die Krankenschwester.«
Ein Wörtchen von mir entzündete die Phantasie Raskolnikoffs. Er brütete düster, rothaarig, verschlagen, wusch seine Pinsel aus, sprach, während er Ulla angestrengt fixierte, von Schuld und Sühne, da riet ich ihm, in mir die Schuld, in Ulla die Sühne zu sehen; meine Schuld sei offensichtlich, der Sühne könne man das Gewand einer Krankenschwester geben.
Daß jenes vortreffliche Bild später anders, irreführend anders hieß, lag an Raskolnikoff. Ich hätte jenes Gemälde »Die Versuchung« genannt, weil meine rechte, gemalte Hand einen Türdrücker faßt, her-unterdrückt und ein Zimmer öffnet, in dem die Krankenschwester steht. Auch könnte Raskolnikoffs Bild schlicht »Der Türdrücker« heißen; denn käme es mir darauf an, der Versuchung einen neuen Namen zu geben, würde ich das Wort Türdrücker empfehlen, weil jener griffige Auswuchs versucht werden will, weil jener Türdrücker an der Milchglastür vor Schwester Dorotheas Kammer von mir an allen Tagen versucht wurde, da ich den Igel Zeidler auf Reisen, die Krankenschwester im Hospital, Frau Zeidler bei Mannesmann im Büro wußte.
Oskar verließ dann sein Zimmer mit der abflußrohrlosen Badewanne, trat auf den Korridor der Zeidlerschen Wohnung, stellte sich vor die Kammer der Krankenschwester und gab dem Türdrücker seinen Griff.
Bis etwa Mitte Juni, und ich machte die Probe fast jeden Tag, hatte die Tür nicht nachgeben wollen.
Schon wollte ich
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