Die Blechtrommel
Feststellung: Schwester Dorothea hatte blonde Haare.
Weiterhin besagte die verdächtig reiche Fracht des Kammes: die Krankenschwester litt unter Haarausfall. Die Schuld an dieser peinlichen, ein weibliches Gemüt gewiß verbitternden Krankheit gab ich sogleich den Schwesternhäubchen, klagte aber die Häubchen nicht an; denn ohne Häubchen geht es nun einmal nicht in einem gutgehaltenen Krankenhaus.
So unangenehm Oskar der Essiggeruch war, die Tatsache, daß der Schwester Dorothea die Haare ausgingen, ließ in mir nichts anderes aufkommen als durch Mitleid verfeinerte, besorgte Liebe.
Bezeichnend für mich und meinen Zustand, daß mir sogleich mehrere als erfolgreich bezeichnete Haarwuchsmittel einfielen, die ich der Schwester bei günstiger Gelegenheit überreichen wollte. Schon mit den Gedanken bei diesem Zusammentreffen — Oskar stellte es sich unter warmem, windstillem Sommerhimmel zwischen wogenden Kornfeldern vor — streifte ich die ledigen Haare vom Kamm, bündelte sie, schnürte sie mit sich selbst, blies dem Bausch einen Teil Staub und Schuppen fort und schob ihn mir vorsichtig in ein eiligst ausgeräumtes Fach meiner Brieftasche.
Den Kamm, den Oskar, um die Brieftasche besser handhaben zu können, auf die Marmorplatte gelegt hatte, nahm ich noch einmal, als ich Brieftasche und Beute in der Jacke trug. Ich hielt ihn gegen die ungeschützte Glühbirne, ließ ihn durchsichtig sein, folgte den beiden verschieden starken Sprossengruppen, stellte das Fehlen zweier Sprossen in der schmächtigeren Gruppe fest, ließ es mir nicht nehmen, den Fingernagel des linken Zeigefingers entlang den Kuppen der gröberen Sprossen schnurren zu lassen, und erfreute Oskar während der ganzen verspielten Zeit mit dem Aufleuchten einiger weniger Haare, die ich abzustreifen mit Absicht, um keinen Verdacht zu erregen, versäumt hatte.
Endgültig sank der Kamm in die Haarbürste. Von dem Toilettentisch, der mich viel zu einseitig orientierte, fand ich fort. Auf dem Weg zum Bett der Krankenschwester stieß ich gegen einen Küchenstuhl, dem ein Büstenhalter anhing.
Die beiden Negativformen jener an den Rändern verwaschenen und verfärbten Stütze konnte Oskar mit nichts anderem füllen als mit seinen Fäusten, und die füllten nicht, nein, die bewegten sich fremd, unglücklich, zu hart, zu nervös in Schüsseln, die ich tagtäglich, die Kost nicht kennend, gerne ausgelöffelt hätte; ein zeitweiliges Erbrechen schon einbeziehend, denn jeder Brei ist manchmal zum Kotzen, dann wieder süß hinterher, zu süß oder so süß, daß der Brechreiz Geschmack findet und wahrer Liebe Proben stellt.
Es fiel mir der Dr. Werner ein, und ich nahm meine Fäuste aus dem Büstenhalter. Sogleich verging mir wieder der Dr. Werner, und ich konnte mich vor das Bett der Schwester Dorothea stellen. Dieses Bett der Krankenschwester! Wie oft hatte Oskar es sich vorgestellt, und nun war es dasselbe häßliche Gestell, das auch meiner Ruhe und gelegentlichen Schlaflosigkeit den braungestrichenen Rahmen gab.
Ein weißlackiertes Metallbett mit Messingknöpfen, ein Gitter leichtester Art hätte ich ihr gewünscht, nicht dieses plumpe lieblose Möbel. Unbeweglich, mit schwerem Kopf, keiner Leidenschaft, selbst der Eifersucht nicht fähig, stand ich eine Zeit lang vor einem Schlafaltar, dessen Federbett aus Granit sein mochte, drehte mich dann, vermied den beschwerlichen Anblick. Nie hätte Oskar sich die Schwester Dorothea und ihren Schlaf in dieser ihm so verhaßten Gruft vorstellen mögen.
Schon wieder auf dem Wege zum Toilettentisch, vielleicht von der Absicht bewogen, nun endlich die vermeintlichen Salbendöschen öffnen zu wollen, befahl mir der Schrank, seine Ausmaße zu beachten, seinen Anstrich schwarzbraun zu nennen, den Profilen seines Gesimses zu folgen und ihn endlich zu öffnen; denn jeder Schrank will geöffnet werden.
Den Nagel, der an Stelle eines Schlosses die Türen zusammenhielt, bog ich senkrecht: sogleich und ohne meine Hilfe fiel das Holz seufzend auseinander und bot soviel Aussicht, daß ich einige Schritte hinter mich treten mußte, um über verschränkten Armen kühl beobachten zu können. Oskar wollte sich nicht wie über dem Toilettentisch in Einzelheiten verlieren, wollte nicht, wie dem Bett gegenüber, von Vorurteilen belastet ein Urteil sprechen; ganz frisch und wie am ersten Tage wollte er dem Schrank begegnen, weil auch der Schrank ihn mit offenen Armen empfing.
Dennoch konnte sich Oskar, der unverbesserliche Ästhet,
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