Die Blechtrommel
in der Krankenschwester einen durch verantwortungsvolle Arbeit so zu Ordnung erzogenen Menschen sehen, daß es mir ratsam schien, alles Hoffen auf eine versehentlich offengebliebene Tür fahren zu lassen. Deshalb auch die dumme, mechanische Reaktion, die mich die Tür sofort wieder schließen ließ, als ich sie eines Tages unverschlossen fand.
Sicherlich stand Oskar mehrere Minuten lang zwischen gespanntester Haut auf dem Korridor, erlaubte sich so viele Gedanken verschiedenster Herkunft gleichzeitig, daß sein Herz Mühe hatte, jenem Ansturm so etwas wie einen Plan zu empfehlen.
Erst als es mir gelang, mich und mein Denken anderen Verhältnissen aufzupfropfen: Maria und ihr Verehrer, dachte ich, Maria hat einen Verehrer, der Verehrer schenkte Maria eine Kaffeekanne, Verehrer und Maria gehen am Sonnabend ins Apollo, Maria duzt den Verehrer nur nach Feierabend, im Geschäft siezt Maria ihren Verehrer, dem das Geschäft gehört — erst als ich Maria und ihren Verehrer von dieser und jener Seite bedacht hatte, gelang es mir, in meinem armen Kopf den Anflug einer Platzordnung zu bewirken — und ich öffnete die Milchglastür.
Ich hatte mir den Raum schon zuvor als einen fensterlosen Raum vorgestellt, denn nie hatte der obere trübdurchsichtige Teil der Tür einen Streifen Tageslicht verraten. Genau wie in meinem Zimmer rechts greifend, fand ich den Lichtschalter. Für die Größe dieser, um als Zimmer bezeichnet zu werden, viel zu engen Kammer, reichte die Vierzig-Watt-Birne vollkommen aus. Es war mir peinlich, mit der halben Figur sofort einem Spiegel gegenüber zu stehen. Oskar wich jedoch seinem verkehrten, darum kaum aufschlußreicheren Konterfei nicht aus; denn die Gegenstände auf dem Toilettentisch, det dem Spiegel in gleicher Breite vorgestellt war, zogen mich stark an, stellten Oskar auf die Zehenspitzen.
Das weiße Emaille der Waschschüssel zeigte blauschwarze Stellen. Jene marmorne Toilettentischplatte, in der die Waschschüssel sie bis zum übergreifenden Rand versenkte, zeigte gleichfalls Schäden. Die linke fehlende Ecke der Marmorplatte lag vor dem Spiegel, wies dem Spiegel ihre Adern. Spuren eines abblätternden Klebstoffes an den Bruchstellen verrieten einen ungeschickten Heilversuch. Es juckte mich in den Steinmetzfingern. An Korneffs selbstfabrizierten Marmorkitt dachte ich, der selbst den brüchigsten Lahnmarmor in jene dauerhaften Fassadenplatten verwandelte, die man Großmetzgereien vorklebte.
Jetzt, nachdem mich der Umgang mit dem vertrauten Kalkstein mein im üblen Spiegel arg verzeichnetes Bild vergessen ließ, gelang es mir auch, jenen Geruch, der Oskar beim Eintreten schon besonders sein wollte, zu benennen.
Es roch nach Essig. Später, auch noch vor wenigen Wochen, entschuldigte ich die aufdringliche Luft mit der Annahme: die Krankenschwester mochte am Vortage ihr Haar gewaschen haben; Essig war es, den sie vorm Spülen ihrer Kopfhaut dem Wasser beimischte. Es fand sich zwar auf dem Toilettentisch keine Essigflasche. Gleichfalls in anders etikettierten Behältnissen glaubte ich keinen Essig erkennen zu können, sagte mir auch immer wieder, Schwester Dorothea wird sich nicht in Zeidlers Küche, vorher beim Zeidler Erlaubnis einholend, warmes Wasser machen, um sich in ihrer Kammer umständlich genug die Haare zu waschen, wenn sie im Marienhospital modernste Badezimmer findet.
Immerhin konnte es sein, daß ein allgemeines Verbot der Oberschwester oder der Krankenhausintendanz den Pflegerinnen die Benutzung gewisser sanitärer Einrichtungen des Hospitals verbot und Schwester Dorothea sich gezwungen sah, hier, in jener Emailleschüssel, vor ungenauem Spiegel, ihr Haar waschen zu müssen.
Wenn sich auch keine Essigflasche auf dem Toilettentisch fand, standen doch Fläschchen und Dosen genug auf dem klammen Marmor. Ein Paket Watte und eine halbleere Packung Damenbinden nahmen Oskar damals den Mut, die Döschen auf ihren Inhalt hin zu untersuchen. Doch ich bin noch heute der Meinung, nur kosmetische Mittelchen, allenfalls harmlose Heilsalben machten den Inhalt der Dosen aus.
Den Kamm hatte die Krankenschwester in die Haarbürste gesteckt. Es brauchte einige Überwindung, bis ich ihn aus den Borsten zog und dem vollen Blick zeigte. Wie gut, daß ich es tat, denn im selben Moment machte Oskar seine wichtigste Entdeckung: die Krankenschwester hatte blonde Haare, vielleicht aschblonde Haare; doch soll man aus totem, ausgekämmtem Haar nur vorsichtig Schlüsse ziehen, deshalb nur die
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