Die Blechtrommel
irdische Güter.«
Ich unterstützte die Novize Agneta: »Du irrst dich, Lankes. Muscheln sind niemals irdische Güter.«
»Dann sind es Strandgüter, auf jeden Fall Güter, und die dürfen die Nonnen nicht besitzen. Da heißt es Armut, Armut und nochmal Armut! Nicht wahr, Schwester?«
Schwester Agneta lächelte mit vorstehenden Zähnen: »Ich nehme nur wenige Muscheln mit. Die sind für den Kindergarten bestimmt. Die Kleinen spielen so gerne damit und waren noch nie am Meer.«
Agneta stand vor dem Bunkereingang und warf einen Nonnenblick ins Bunkerinnere.
»Wie gefällt Ihnen denn unser Häuschen?« biederte ich mich an. Lankes kam direkter: »Besichtigen Sie doch mal die Villa. Angucken kostet nichts, Schwester!«
Sie scharrte mit spitzen Schnürschuhen unter dem soliden Stoff. Manchmal stieß sie sogar den Seesand, daß der Wind ihn mitnahm und über unseren Fisch streute. Etwas unsicherer und mit nunmehr deutlich hellbraunen Augen prüfte sie uns und den Tisch zwischen uns. »Das geht sicherlich nicht«, forderte sie unseren Widerspruch heraus.
»Ach was, Schwester!« räumte der Maler alle Schwierigkeiten aus dem Wege und erhob sich. »Hat nämlich 'ne hübsche Aussicht, der Bunker. Durch die Schießscharten kann man den ganzen Strand überblicken.«
Sie zögerte immer noch, hatte die Schuhe gewiß voller Sand. Lankes streckte die Hand in den Bunkereingang. Sein Betonornament" warf kräftige, ornamentale Schatten. »Sauber ist es auch drinnen!«
Es mag die einladende Bewegung des Malers gewesen sein, die die Nonne ins Bunkerinnere führte.
»Aber nur einen Augenblick!« hieß das entscheidende Wort. Vor Lankes huschte sie in den Bunker.
Der wischte sich die Hände an den Hosen ab — eine typische Malerbewegung — und drohte, bevor er verschwand: »Daß du mir ja nix von meinem Fisch nimmst!«
Oskar aber hatte genug vom Fisch. Ich rückte vom Tisch ab, war dem sand mitführenden Wind und den übertriebenen Geräuschen der Flut, des alten Kraftmeiers, ausgeliefert. Mit dem Fuß schob ich mir meine Trommel heran und begann trommelnd aus dieser Betonlandschaft, aus dieser Bunkerwelt, aus diesem Gemüse, das Rommelspargel hieß, einen Ausweg zu suchen.
Zuerst und mit wenig Erfolg, versuchte ich es mit der Liebe: Einst liebte auch ich eine Schwester.
Weniger eine Nonne, mehr eine Krankenschwester. In Zeidlers Wohnung wohnte sie hinter einer Milchglastür. Sie wahr sehr schön, doch sah ich sie nie. Da gab es einen Kokosläufer, der geriet dazwischen. Es war zu dunkel auf Zeidlers Flur. So spürte ich auch die Kokosfasern deutlicher als den Körper der Schwester Dorothea.Nachdem dieses Thema allzubald auf dem Kokosläufer verendete, versuchte ich meine frühere Liebe zu Maria rhythmisch aufzulösen und dem Beton gleich schnellwachsenden Kletterpflanzen da-vorzupflanzen. Da war es wieder die Schwester Dorothea, die meiner Liebe zu Maria im Wege stand: vom Meer her wehte Carbolgeruch, Möwen winkten in Krankenschwesterntracht, die Sonne wollte mir als Rotkreuzbrosche leuchten.
Eigentlich war Oskar froh, als seine Trommelei gestört wurde. Die Oberin, Schwester Scholastika, kehrte mit ihren fünf Nonnen zurück. Sie sahen müde aus und hielten die Schirme schief und verzweifelt: »Haben Sie eine junge Nonne gesehen, unsere junge Novize gesehen? Das Kind ist so jung. Das Kind sieht das Meer zum erstenmal. Es muß sich verirrt haben. Wo sind Sie denn, Schwester Agneta?!«
Mir blieb nichts anderes zu tun übrig, als den diesmal vom Rückenwind geblähten Pulk in Richtung Ornemündung, Arromanches, Port Winston zu schicken, wo einst die Engländer ihren künstlichen Hafen dem Meer abgezwungen hatten. Alle zusammen hätten in unserem Bunker kaum Platz gefunden. Zwar reizte es mich einen Augenblick lang, dem Maler Lankes diesen Besuch zu bescheren, dann aber befahlen mir Freundschaft, Überdruß, Bosheit gleichzeitig, den Daumen in Richtung Ornemündung zu strecken. Die Nonnen gehorchten meinem Daumen, wurden auf dem Dünenkamm sechs immer kleiner werdende, schwarzwehende Löcher; und auch das wehleidige »Schwester Agneta, Schwester Agneta!« gelang ihnen immer windiger, bis es schließlich versandete.
Lankes verließ als erster den Bunker. Die typische Malerbewegung: die Hände wischte er an den Hosenbeinen ab, lümmelte sich in die Sonne, verlangte mir eine Zigarette ab, steckte die Zigarette in seine Hemdtasche und fiel über den kalten Fisch her. »Dat macht hungrig«, erklärte er sich andeutungsweise
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