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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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— für mich schon nicht mehr überraschend genug, um es als Wunder werten zu können — aus Richtung Cabourg eine junge Nonne über die Dünen wehte, welche rosa, mit viel Schwarz drumherum, nicht übersehen werden konnte.
    Sie hielt einen schwarzen Regenschirm, wie ihn ältere Herren bei sich führen, gegen die Sonne. Über den Augen rundete sich ein heftig grüner Zelluloidschirm, ähnlich dem Augenschutz geschäftiger Filmmänner in Hollywood. Man rief nach ihr in den Dünen. Es schienen noch mehr Nonnen im Lande zu sein.
    »Schwester Agneta!« rief man, auch: »Schwester Agneta, wo sind Sie denn?«
    Und Schwester Agneta, das junge Ding oberhalb unserer sich immer deutlicher abzeichnenden Kabeljaugräte antwortete: »Hier, Schwester Scholastika. Es ist hier so windstill!«
    Lankes grinste und nickte wohlgefällig mit seinem Wolfsschädel, als hätte er diesen katholischen Aufmarsch bestellt, als gäbe es nichts, das ihn überraschen könnte.
    Die junge Nonne erblickte uns und stand links neben dem Bunker. Ihr rosiges Gesicht, das zwei kreisrunde Nasenlöcher hatte, sagte zwischen leicht vorstehenden, doch sonst tadellosen Zähnen:
    »Oh!«
    Lankes drehte Hals und Kopf, ohne den Oberkörper zu verrücken: »Na Schwester, kleinen Bummel machen?«
    Wie schnell die Antwort kam: »Wir gehen jedes Jahr einmal ans Meer. Aber ich sehe das Meer zum erstenmal. Es ist so groß!«
    Dem konnte man nicht widersprechen. Bis zum heutigen Tage will mir jene Beschreibung des Meeres als allein zutreffende Beschreibung gelten.
    Lankes übte Gastfreundschaft, stocherte in meinem Fischanteil und bot an: »Bißchen Fisch probieren, Schwester? Ist noch warm.«Sein zwangloses Französisch ließ mich erstaunen, und Oskar versuchte gleichfalls die fremde Sprache: »Brauchen sich nicht zu genieren, Schwester. Ist ja Freitag heute.«
    Doch auch diese Anspielung auf ihre sicher strengen Ordensregeln konnten das in der Kutte geschickt verborgene Mädchen nicht dazu bewegen, an unserer Mahlzeit teilzunehmen.
    »Wohnen Sie immer hier?« wollte ihre Neugierde wissen. Hübsdi fand sie unseren Bunker und ein bißchen komisch. Da schoben sich leider die Oberin und fünf weitere Nonnen mit schwarzen Regen-und grünen Reporterschirmen über den Dünenkamm ins Bild. Die Agneta stob davon und wurde, soweit ich den vom Ostwind frisierten Wortschwall verstehen konnte, kräftig ausgeschimpft, dann in die Mitte genommen.
    Lankes träumte. Er hielt die Gabel verkehrt im Mund und fixierte die wehende Gruppe auf der Düne:
    »Dat sind keine Nonnen, dat sind Segelschiffe.«
    »Segelschiffe sind weiß«, gab ich zu bedenken.
    »Dat sind schwarze Segelschiffe.« Mit Lankes konnte man schlecht diskutieren. »Die, links außen, dat is dat Flaggschiff. Die Agneta, dat is ne schnelle Korvette. Günstiger Segelwind: Kiellinie, vom Klüver bis zum Achtersteven, Kreuz-, Groß- und Fockmast, alle Segel gesetzt, ab zum Horizont nach England. Stell dich dat vor: morgen früh wachen die Tommys auf, gucken äußern Fenster, was sehen sie: Fünfundzwanzigtausend Nonnen, bis über die Toppen beflaggt, und schon kommt die erste Breitseite ...»
    »Ein neuer Religionskrieg!« half ich ihm. Das Flaggschiff müsse Maria Stuart heißen oder De Valera oder, noch besser, Don Jüan. Eine neue, beweglichere Armanda nimmt Rache für Trafalgar! »Tod allen Puritanern!« hieße es, und die Engländer hätten diesmal keinen Nelson auf Lager. Die Invasion könnte beginnen: England hat aufgehört, eine Insel zu sein!
    Lankes wurde das Gespräch zu politisch. »Jetzt dampfen sie ab, die Nonnen«, meldete er.
    »Segeln!« verbesserte ich ihn.
    Nun, ob sie segelten oder abdampften, in Richtung Cabourg wehte es sie davon. Regenschirme hielten sie zwischen sich und der Sonne. Nur eine blieb etwas zurück, bückte sich zwischen den Schritten, hob auf und ließ fallen. Der Rest der Flotte — um bei dem Bild zu bleiben — mühte sich langsam, gegen den Wind kreuzend, auf die ausgebrannten Kulissen der ehemaligen Strandhotels zu.
    »Die hat den Anker nich hochbekommen oder hat Ruderschaden.« Lankes hielt sich weiterhin an die Sprache der Seeleute. »Wenn dat man nich die schnelle Korvette, die Agneta is?«
    Ob Korvette oder Fregatte, es war die Novize Agneta, die sich uns Muscheln sammelnd und verwerfend näherte.
    »Was sammeln Sie denn da, Schwester?« Dabei sah es Lankes genau.
    »Muscheln!« Sie sprach das Wörtchen besonders aus und bückte sich.
    »Dürfen Sie das denn? Das sind doch

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