Die Blechtrommel
liegen, haben gar nix jemerkt, als's hier losging. Da drüben, bei Arromanches Engländer und in unserem Abschnitt jede Menge Kanadier. Ehe wir überhaupt die Hosenträger hoch hatten, waren die schon da und sagten: How are you?«
Dann, mit der Gabel die Luft spießend und Gräten ausspuckend: »Da han ich doch heut übrigens in Cabourg den Herzog gesehen, den Spinner, den du ja kennst von eure Besichtigung her. Oberleutnant war er.«
Gewiß erinnerte sich Oskar an den Oberleutnant Herzog. Lankes erzählte mir über den Fisch hinweg, daß der Herzog Jahr für Jahrnach Cabourg fahre, Karten und Meßgeräte mitbringe, weil die Bunker ihn nicht schlafen ließen. Auch bei uns, bei Dora sieben, wolle er vorbeikommen und messen.
Während wir noch beim Fisch waren — der zeigte langsam seine große Gräte — kam Oberleutnant Herzog. Khakifarbene Kniehosen trug er, stand mit dicklichen Knallwaden in Tennisschuhen und ließ graubraune Haare aus dem offenen Leinenhemd wachsen. Natürlich blieben wir sitzen. Lankes nannte mich seinen Freund und Kumpel Oskar, sagte zum Herzog Oberleutnant a.D.
Der Oberleutnant außer Dienst begann sogleich Dora sieben eingehend zu untersuchen, ging aber den Beton zuerst von der Außenseite an, was ihm Lankes erlaubte. Tabellen füllte er aus, hatte auch ein Scherenfernrohr bei sich, mit dem er die Landschaft und die vordringende Flut belästigte. Die Schießscharten von Dora sechs, direkt neben uns, streichelte er so zärtlich, als wollte er seiner Gattin etwas Gutes antun. Als er Dora sieben, unser Ferienhäuschen, von innen zu besichtigen vorhatte, verbot ihm das Lankes: »Mann, Herzog, weiß gar nicht, was Sie wollen! Fummeln hier am Beton rum.
Is doch längst passé, was damals noch aktuell war.«
Passé ist ein Lieblingswort bei Lankes. Er pflegt die Welt in aktuell und passé einzuteilen. Aber der Oberleutnant außer Dienst befand, daß nichts passé, daß die Rechnung noch nicht aufgegangen sei, daß man sich später und immer wieder vor der Geschichte verantworten müsse und daß er jetzt Dora sieben von innen besichtigen wolle: »Haben Sie mich verstanden, Lankes!«
Schon warf Herzog seinen Schatten auf unseren Tisch und Fisch. Uns übergehen wollte er und in jenen Bunker, über dessen Eingang immer noch Betonornamente die bildnerische Hand des Obergefreiten Lankes verrieten.
Herzog kam an unserem Tisch nicht vorbei. Von unten her, begabelt, doch ohne die Gabel zu gebrauchen, warf Lankes seine Faust hoch und legte den Oberleutnant außer Dienst Herzog in den Seesand. Kopfschüttelnd, die Unterbrechung der Fischmahlzeit bedauernd, erhob sich Lankes, raffte mit linker Hand das Leinenhemd des Oberleutnants über der Brust zusammen, schleppte den, eine regelmäßige Spur zeichnend, seitwärts davon und warf ihn von der Düne, so daß wir ihn nicht mehr sahen, aber dennoch hören mußten. Herzog sammelte seine Meßinstrumente, die Lankes ihm nachgeworfen hatte, ein und entfernte sich schimpfend, alle historischen Geister beschwörend, die Lankes zuvor als passé bezeichnet hatte.
»So unrecht hatter gar nich, der Herzog. Auch wenner'n Spinner ist. Wenn wir hier damals nich so besoffen gewesen wären, als es losging, wer weiß, was aus den Kanadiern geworden wäre.«
Ich konnte nur zustimmend nicken, denn noch am Vortage hatte ich bei Ebbe zwischen Muscheln und leeren Krabbenschalen den deutlich sprechenden Knopf einer kanadischen Uniform gefunden. Oskar verwahrte den Knopf in seiner Brieftasche und befand sich so glücklich, als hätte er eine seltene etruskische Münze gefunden.
Der Besuch des Oberleutnants Herzog hatte, so kurz er war, Erinnerungen heraufbeschworen: »Weißt du noch, Lankes, als wir damals mit der Fronttheatergrupppe euren Beton besichtigten, auf dem Bunker frühstückten, ein Windchen wehte wie heute; und auf einmal gab es da sechs oder sieben Nonnen, die zwischen dem Rommelspargel nach Krabben suchten, und du, Lankes, mußtest auf Befehl den Strand räumen; mit einem mörderischen Maschinengewehr tatest du das.«
Lankes erinnerte sich, saugte Gräten ab, wußte sogar noch die Namen: Schwester Scholastika, Schwester Agneta zählte er auf, beschrieb mir die Novizin als ein rosiges Gesicht mit viel Schwarz drumherum, malte sie mir so deutlich, daß mir jenes ständig anwesende Bild meiner weltlichen Krankenschwester, der Schwester Dorothea, zwar nicht versank, aber doch teilweise verdeckt wurde; was sich noch steigerte, als wenige Minuten nach der Beschreibung
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