Die Blechtrommel
und plünderte das mir zugesprochene Schwänzende.
»Gewiß wird sie jetzt unglücklich sein«, klagte ich Lankes an und genoß dabei das Wörtchen unglücklich.
»Wieso denn? Hat se gar keinen Grund zu, unglücklich zu sein.«
Lankes konnte sich nicht vorstellen, daß seine Art Umgang zu pflegen unglücklich machen könnte.
»Was tut sie denn jetzt?« fragte ich und hatte eigentlich etwas anderes fragen wollen.
»Sie näht«, erklärte Lankes mit der Fischgabel. »Hat sich die Kutte ein bißchen zerrissen, nun näht sie den Schaden wieder.«
Die Näherin verließ den Bunker. Sofort spannte sie wieder den Regenschirm auf, trällerte leichthin und dennoch — wie ich es herauszuhören glaubte — etwas angestrengt: »Wirklich schön ist die Aussicht von Ihrem Bunker aus. Den ganzen Strand überblickt man und das Meer.«
Vor den Trümmern unseres Fisches blieb sie stehen.
»Darf ich?«
Wir nickten gleichzeitig.
»Die Seeluft macht hungrig«, half ich ihr, und nun nickte sie, griff mit geröteten, gesprungenen, an die schwere Arbeit im Kloster erinnernden Händen in unseren Fisch, führte zum Mund, aß ernsthaft, angestrengt und grüblerisch, als kaute sie mit dem Fisch etwas wieder, was sie vor dem Fisch genossen hatte.
Ich blickte ihr unter die Haube. Den grünen Reporterschirm hatte sie im Bunker vergessen. Kleine, gleichgroße Schweißperlen reihten sich auf ihrer glatten, in weißer, steifer Begrenzung madonnenhaft wirkenden Stirn. Lankes wollte abermals eine Zigarette haben, obwohl er die vorherige noch nicht geraucht hatte. Ich warf ihm das ganze Päckchen zu. Während er drei Stengel in seine Hemdtasche steckte, sich einen vierten Stengel zwischen die Lippen klebte, drehte sich Schwester Agneta, warf den Schirm fort und lief — erst jetzt sah ich, daß sie barfuß war — die Düne hoch und verschwand in Richtung Brandung.
»Laß sie laufen«, orakelte Lankes. »Die kommt wieder oder kommt nicht wieder.«
Nur kurze Zeit konnte ich mich ruhig halten und der Zigarette des Malers zusehen. Auf den Bunker stieg ich und überblickte den durch die Flut näher herangeworfenen Strand.
»Na?« wollte Lankes etwas von mir wissen.
»Sie entkleidet sich.« Mehr Auskünfte konnte er mir nicht entlocken. »Wahrscheinlich will sie baden gehen, wegen der Abkühlung.«
Ich hielt das für gefährlich bei der Flut, auch so kurz nach dem Essen. Bis zu den Knien war sie schon drinnen, versank immer weiter und hatte einen runden Rücken. Das Ende August sicherlich nicht ' allzu warme Wasser schien sie nicht abzuschrecken: sie schwamm, schwamm geschickt, übte sich in verschiedenen Stilarten und durchschnitt tauchend die Wellen.
»Laß sie schwimmen und komm endlich vom Bunker runter!« Ich blickte hinter mich und sah Lankes ausgestreckt qualmen. Die blanke Gräte des Kabeljaus flimmerte weiß und den Tisch beherrschend in der Sonne.
Als ich vom Beton sprang, öffnete Lankes die Maleraugen und sagte: »Das gibt ein dolles Bild: Flutende Nonnen. Oder: Nonnen bei Flut.« • »Du Unmensch!« schrie ich. »Und wenn sie nun ertrinkt?«
Lankes schloß die Augen: »Dann heißt das Bild: Ertrinkende Nonnen.«
»Und wenn sie zurückkommt, dir vor die Füße fällt?«
Mit offenen Augen sprach der Maler sein Urteil: »Dann wird man sie und das Bild eine gefallene Nonne nennen.«Er kannte nur entweder oder, Kopf oder Schwanz, ertranken oder gefallen. Mir nahm er die Zigaretten ab, den Oberleutnant warf er von der Düne, von meinem Fisch aß er, und einem Kind, das eigentlich dem Himmel geweiht war, zeigte er das Innere unseres Bunkers, malte, während sie noch in die offene See hinausschwamm, mit grobem, knolligem Fuß Bilder in die Luft, gab sogleich die Formate an, betitelte sie: Flutende Nonnen. Nonnen bei Flut. Ertrinkende Nonnen.
Fallende Nonnen. Fünfundzwanzigtausend Nonnen. Querformat: Nonnen auf der Höhe von Trafalgar.
Hochformat: Nonnen besiegen Lord Nelson. Nonnen bei Gegenwind. Nonnen bei Segelwind. Nonnen gegen den Wind kreuzend. Schwarz, viel Schwarz, kaputtes Weiß und Blau auf Eis gelegt: Die Invasion, oder: Mystisch, barbarisch, gelangweilt — sein alter Betontitel aus Kriegszeiten. Und alle diese Bilder, Hochformate und Querformate, malte der Maler Lankes, als wir ins Rheinland zurückkehrten, fertigte ganze Nonnenserien an, fand einen Kunsthändler, der auf die Nonnenbilder scharf war, stellte dreiundvierzig Nonnenbilder aus, verkaufte siebzehn an Sammler, Industrielle, Kunstmuseen, auch an einen
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