Die Blechtrommel
wieder meine glastötende Stimme, machte aber sparsamen Gebrauch davon, weil ich mir nicht das Geschäft verderben wollte.
Denn meine Tournee war ein Geschäft. Als ich zurückkehrte und mit Dr. Dösch abrechnete, stellte es sich heraus, daß meine Blechtrommel eine Goldgrube war.
Ohne nach dem Meister Bebra gefragt gehabt zu haben — ich hatte die Hoffnung, ihn wiederzusehen, schon aufgegeben — verkündete mir Dr. Dösch, daß Bebra mich erwarte.
Mein zweiter Besuch beim Meister verlief etwas anders als der erste. Oskar mußte nicht vor dem Stahlmöbel stehen, sondern fand einen für seine Maße konstruierten, elektrisch betriebenen, schwenkbaren Rollstuhl vor, der dem Stuhl des Meisters gegenüber stand. Lange saßen wir, schwiegen, hörten uns Pressemeldungen und -berichte über Oskars Trommelkunst an, die Dr. Dösch auf Bändern aufgenommen hatte und nun vor uns ablaufen ließ. Bebra schien zufrieden zu sein. Mir war das Gerede der Zeitungsleute eher peinlich. Die trieben einen Kult mit mir, sprachen mir und meiner Trommel Heilerfolge zu. Gedächtnisschwund könne sie beseitigen, hieß es, das Wörtchen »Oskarnismus« tauchte zum erstenmal auf und sollte bald zum Schlagwort werden.
Hinterher servierte das Pullovermädchen einen Tee für mich. Dem Meister legte sie zwei Pillen auf die Zunge. Wir plauderten. Er klagte mich nicht mehr an. Wie vor Jahren war es, als wir im Cafe Vierjahreszeiten saßen, nur fehlte die Signora, unsere Roswitha. Als ich bemerken mußte, daß der Meister Bebra während meiner etwas langatmigen Schilderungen Oskarscher Vergangenheit eingeschlafen war, spielte ich erst noch ein Viertelstündchen mit meinem elektrischen Rollstuhl, ließ den schnurren und übers Parkett sausen, schwenkte ihn links, rechts herum, ließ ihn wachsen und schrumpfen und hatte Mühe, mich von jenem Allerweltsmöbel trennen zu können, das sich mit seinen unendlichen Möglichkeiten als harmloses Laster anbot.
Meine zweite Tournee fiel in die Adventszeit. Dementsprechend gestaltete ich auch mein Programm und bekam die Loblieder der katholischen wie protestantischen Zeitungen zu hören. Gelang es mir doch, uralte, steinhart gesottene Sünder zu dünn und rührend Adventslieder singenden Kleinkindern zu machen. »Jesus, dir leb' ich, Jesus, dir sterb' ich«, sangen zweitausendfünfhundert Menschen, denen man bei so hohem Alter solch kindlichen Glaubenseifer nicht mehr zugetraut hätte.
Zweckentsprechend gab ich mich während der dritten Tournee, die parallel zur Karnevalszeit verlief.
Bei keinem sogenannten Kinderkarneval hätte es lustiger und unbeschwerter zugehen können, als anläßlich meiner Veranstaltungen, die jede zittrige Oma, jeden wackligen Opa in eine drollig naive Räuberbraut, in einen peng-peng-machenden Räuberhauptmann verwandelte.
Nach dem Karneval unterzeichnete ich die Verträge mit der Schallplattenfirma. Die Aufnahme machte ich in schalldichten Studios, hatte zuerst Schwierigkeiten wegen der äußerst sterilen Atmosphäre, ließ mir dann Riesenfotos alter Leutchen, wie man sie in Altersheimen und auf Parkbänken findet, an die Studiowände hängen und trommelte ähnlich wirksam wie während der Veranstaltungen in menschenwarmen Festsälen.
Die Platten gingen weg wie die warmen Semmeln: und Oskar wurde reich. Gab ich deswegen mein armseliges, ehemaliges Badezimmer in der Zeidlerschen Wohnung auf? Ich gab es nicht auf.
Weswegen nicht? Meines Freundes Klepp wegen, auch wegen der leeren Kammer hinter der Milchglastür, in der einst Schwester Dorothea geatmet hatte, gab ich mein Zimmer nicht auf. Was tat Oskar mit dem vielen Geld? Er machte Maria, seiner Maria, ein Angebot.
Ich sagte zu Maria: wenn du dem Stenzel den Laufpaß gibst, ihn nicht nur nicht heiratest, sondern simpel davonjagst, kaufe ich dir ein modern eingerichtetes Feinkostgeschäft in bester Geschäftslage, denn schließlich bist du, liebe Maria, fürs Geschäft und nicht für einen hergelaufenen Herrn Stenzel geboren.
Ich hatte mich in Maria nicht getäuscht. Sie ließ vom Stenzel ab, baute mit meinen Geldmitteln ein erstklassiges Feinkostgeschäft in der Friedrichstraße auf, und vor einer Woche konnte man in Oberkassel — wie mir Maria gestern freudig und nicht ohne Dankbarkeit berichtete — eine Filiale jenes Geschäftes eröffnen, das vor drei Jahren gegründet wurde.
Kam ich von meiner siebenten oder achten Tournee zurück? Im heißesten Monat Juli war es. Am Hauptbahnhof winkte ich mir ein Taxi und fuhr direkt
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