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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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vorm Schreibtisch des Chefs, wieviel Zentner mag er wiegen? Ich erhob meine blauen Augen, suchte den Chef hinter der unendlich leeren Eichenholzfläche und fand, in einem Rollstuhl, der sich gleich einem Zahnarztstuhl hochschrauben und schwenken ließ, meinen gelähmten, nur mit den Augen und Fingerspitzen noch lebenden Freund und Meister Bebra.
    Ach ja, seine Stimme gab es noch! Aus Bebra heraus sprach es: »So sieht man sich wieder, Herr Matzerath. Sagte ich nicht schon vor Jahren, da Sie es noch vorzogen, als Dreijähriger dieser Welt zu begegnen: Leute wie wir können sich nicht verlieren?! — Allein, ich stelle zu meinem Bedauern fest, daß Sie Ihre Proportionen unvernünftig stark und unvorteilhaft verändert haben. Maßen Sie seinerzeit nicht knappe vierundneunzig Zentimeter?«
    Ich nickte und war dem Weinen nahe. An der Wand, hinter dem gleichmäßig surrenden, von einem Elektromotor betriebenen Rollstuhl des Meisters hing als einziger Bildschmuck das barockgerahmte lebensgroße Brustbild meiner Roswitha, der großen Raguna. Ohne meinem Blick zu folgen, doch um das Ziel meines Blickes wissend, sprach Bebra mit nahezu unbeweglichem Mund: »Ach ja, die gute Roswitha! Ob ihr der neue Oskar gefiele? Wohl kaum. Sie hatte es mit einem anderen Oskar, mit einem dreijährigen, pausbäckigen und dennoch recht liebestollen Oskar. Sie betete ihn an, wie sie mir mehr verkündete denn gestand. Er jedoch wollte ihr eines Tages keinen Kaffee holen, da holte sie ihn selbst und kam dabei ums Leben. Das ist, soviel ich weiß, nicht der einzige Mord, den jener pausbäckige Oskar verübte. War es nicht so, daß er seine arme Mama ins Grab trommelte?«
    Ich nickte, konnte gottseidank weinen und hielt die Augen in Richtung Roswitha. Da holte schon Bebra zum nächsten Schlage aus: »Und wie verhielt es sich mit jenem Postbeamten Jan Bronski, den der dreijährige Oskar seinen mutmaßlichen Vater zu nennen beliebte? — Er überantwortete ihn den Schergen. Die schössen ihm in die Brust. Vielleicht können Sie, Herr Oskar Matzerath, der Sie in neuer Gestalt aufzutreten wagen, mir darüber Auskunft geben, was aus des dreijährigen Blechtrommlers zweitem mutmaßlichen Vater, aus dem Kolonialwarenhändler Matzerath wurde?«
    Da gestand ich auch diesen Mord ein, gab zu, mich vom Matzerath befreit zu haben, schilderte seinen von mir herbeigeführten Erstickungstod, versteckte mich nicht mehr hinter jener russischen Maschinenpistole, sondern sagte: »Ich war es, Meister Bebra. Das tat ich, und das tat ich auch, diesen Tod verursachte ich, selbst an jenem Tod bin ich nicht unschuldig — Erbarmen!«
    Bebra lachte. Ich weiß nicht, womit er lachte. Sein Rollstuhl zitterte, Winde wühlten in seinem weißen Gnomenhaar über jenen hunderttausend Fältchen, die sein Gesicht ausmachten.
    Noch einmal flehte ich dringlich um Erbarmen, gab dabei meiner Stimme eine Süße, von der ich wußte, daß sie wirkte, warf auch meine Hände, von denen ich wußte, daß sie schön waren und gleichfalls wirkten, vors Gesicht: »Erbarmen, lieber Meister Bebra!
    Erbarmen!«
    Da drückte er, der sich zu meinem Richter gemacht hatte und diese Rolle vortrefflich spielte, auf ein Knöpfchen jenes elfenbeinfarbenen Schaltbrettchens, das er zwischen Knien und Händen hielt.
    Der Teppich hinter mir brachte das grüne Pullovermädchen. Eine Mappe hielt sie, breitete die auf jener Eichenholzplatte aus, die etwa in Höhe meines Schlüsselbeines auf Stahlrohrgeschlinge stand und mir nicht erlaubte, einzusehen, was das Pullovermädchen ausbreitete. Einen Füllfederhalter reichte sie mir: es galt Bebras Erbarmen mit einer Unterschrift zu erkaufen.
    Dennoch wagte ich in Richtung Rollstuhl Fragen zu stellen. Es fiel mir schwer, an jener Stelle, die ein lackierter Fingernagel bezeichnete, blindlings meine Signatur hinzusetzen.
    »Das ist ein Arbeitsvertrag«, ließ Bebra hören. »Es bedarf Ihres vollen Namens. Schreiben Sie Oskar Matzerath, damit wir wissen, mit wem wir zu tun haben.«
    Gleich nachdem ich unterschrieben hatte, verfünffachte sich das Brummen des Elektromotors, ich riß den Blick von der Füllfeder fort und sah gerade noch, wie ein schnellfahrender Rollstuhl, der während der Fahrt kleiner wurde, sich zusammenfaltete, übers Parkett durch eine Seitentür verschwand.
    Manch einer mag nun glauben, daß jener Vertrag in doppelter Ausfertigung, den ich zweimal unterschrieb, meine Seele erkaufte oder Oskar zu schrecklichen Missetaten verpflichtete. Nichts davon! Als

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