Die Blechtrommel
ich mit Hilfe des Dr. Dösch im Vorzimmer den Vertrag studierte, verstand ich schnell und mühelos, daß Oskars Aufgabe darin bestand, alleine mit seiner Blechtrommel vor dem Publikum aufzutreten, daß ich so trommeln mußte, wie ich es als Dreijähriger getan hatte und später noch einmal in Schmuhs Zwiebelkeller. Die Konzertagentur verpflichtete sich, meine Tourneen vorzubereiten, erst einmal auf die Werbetrommel zu schlagen, bevor »Oskar der Trommler« mit seinem Blech auftrat.
Während die Werbung anlief, lebte ich von einem zweiten generösen Vorschuß, den mir die Konzertagentur »West« gewährte. Dann und wann suchte ich das Bürohochhaus auf, stellte mich Journalisten, ließ mich fotografieren, verirrte mich einmal in dem Kasten, der überall gleich roch, aussah und sich anfaßte wie etwas höchst Unanständiges, das man mit einem unendlich dehnbaren, alles isolierenden Präservativ überzogen hatte. Dr. Dösch und das Pullovermädchen behandelten mich zuvorkommend, nur den Meister Bebra bekam ich nicht mehr zu Gesicht.
Eigentlich hätte ich mir schon vor der ersten Tournee eine bessere Wohnung leisten können. Doch blieb ich Klepps wegen bei Zeidler, versuchte den Freund, der mir den Umgang mit den Managern verrübelte, zu versöhnen, gab aber nicht nach, ging auch nie mehr mit ihm in die Altstadt, trank kein Bier mehr, aß keine frische Blutwurst mit Zwiebeln, sondern speiste, um mich auf künftige Eisenbahnfahrten vorzubereiten, in den vorzüglichen Bahnhofsgaststätten.
Oskar findet hier nicht den Platz, seine Erfolge lang und breit zu beschreiben. Eine Woche vor dem Beginn der Tournee tauchten jene ersten, schändlich wirksamen Plakate auf, die meinen Erfolg vorbereiteten, meinen Auftritt wie den Auftritt eines Zauberers, Gesundbeters, eines Messias ankündigten. Zuerst hatte ich die Städte im Ruhrgebiet heimzusuchen. Die Säle, in denen ich auftrat, faßten tausendfünfhundert bis über zweitausend Personen. Vor einer schwarzen Sammetwand hockte ich ganz alleine auf der Bühne. Ein Scheinwerfer deutete auf mich. Ein Smoking kleidete mich. Wenn ich auch trommelte, waren dennoch keine jugendlichen Jazzfans meine Anhänger. Erwachsene Personen vom fünfundvierzigsten Lebensjahr aufwärts hörten mir zu, hingen mir an. Um genau zu sein, muß ich sagen, Fünfundvierzigj ährige bis Fünfundfünfzigjährige machten etwa ein Viertel meines Publikums aus. Sie waren die jüngere Anhängerschaft. Ein weiteres Viertel bestand aus Fünfundfünfzigjährigen bis Sechzigjährigen. Greise und Greisinnen stellten die reichliche und dankbarste Hälfte meiner Zuhörer. Hochbetagte Leute sprach ich an, und die antworteten mir, blieben nicht stumm, wenn ich die dreijährige Trommel sprechen ließ, erfreuten sich, allerdings nicht in der Sprache der Greise, sondern mit kindlich dreijährigem Lallen und Babbeln, mit »Raschu, Raschu, Raschu!« an meiner Trommel, sobald Oskar ihnen etwas aus dem wunderbaren Leben des wunderbaren Rasputin vortrommelte. Doch weit mehr Erfolg als mit dem Rasputin, der den meisten Zuhörern schon zu anspruchsvoll war, hatte ich mit Themen, die ohne jede besondere Handlung nur Zustände beschrieben, denen ich Titel gab wie: Die ersten Milchzähne — Der schlimme Keuchhusten — Lange wollene Strümpfe kratzen — Wer Feuer träumt, das Bettchen näßt.
Das gefiel den alten Leutchen. Da waren sie ganz dabei. Da litten sie, weil die Milchzähne durchbrachen. Zweitausend Hochbetagte husteten schlimm, weil ich den Keuchhusten ausbrechen ließ.
Wie sie sich kratzten, weil ich ihnen die langen wollenen Strümpfe anzog. Manch alte Dame, manch alter Herr näßte Unterwäsche und Sitzpolster, weil ich die Kinderchen von einer Feuersbrunst räumen ließ. Ich weiß nicht mehr, war es in Wuppertal, war es in Bochum, nein, in Recklinghausen war es: ich spielte vor alten Bergleuten, die Gewerkschaft unterstützte die Veranstaltung, und ich dachte mir, die alten Kumpels werden, da sie jahrelang mit schwarzer Kohle zu tun gehabt haben, einen kleinen schwarzen Schreck vertragen. Oskar trommelte also »Die Schwarze Köchin« und mußte erleben, daß tausendfünfhundert Kumpels, die da schlagende Wetter, absaufende Stollen, Streik, Arbeitslosigkeit hinter sich hatten, der bösen Schwarzen Köchin wegen ein fürchterlich Geschrei losließen, dem — und deswegen erwähne ich die Geschichte — hinter dicken Vorhängen mehrere Fensterscheiben der Festhalle zum Opfer fielen. So, über diesen Umweg, fand ich
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