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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Amerikaner, veranlaßte Kritiker, ihn, Lankes, mit Picasso zu vergleichen, und überredete mit seinem Erfolg mich, Oskar, jenes Visitenkärtchen des Konzertmanagers Dr. Dösch hervorzusuchen, denn nicht nur seine Kunst, auch meine Kunst schrie nach Brot: es galt, die Erfahrungen des dreijährigen Blechtrommlers Oskar während der Vorkriegs-und Kriegszeit mittels der Blechtrommel in das pure, klingende Gold der Nachkriegszeit zu verwandeln.

DER RINGFINGER
    Na«, sagte Zeidler, »Sie woll'n wohl nich mehr arbeiten.« Es ärgerte ihn, daß Klepp und Oskar entweder in Klepps oder Oskars Zimmer saßen und so gut wie nichts taten. Zwar hatte ich mit dem letzten Geld, das mir der Dr. Dösch auf dem Südfriedhof anläßlich Schmuhs Begräbnis als Vorschuß gegeben hatte, die Oktobermiete für beide Zimmer bezahlt, aber der November drohte auch in finanzieller Hinsicht ein trüber November zu werden.
    Dabei hatten wir Angebote genug. In dieser und jener Tanzgaststätte, auch in Nachtlokalen hätten wir Jazz spielen können. Oskar jedoch wollte keinen Jazz mehr spielen. Klepp und ich, wir stritten uns. Er sagte, meine neue Art, die Blechtrommel zu behandeln, habe nichts mehr mit Jazz zu tun. Ich widersprach nicht. Da nannte er mich einen Verräter an der Idee der Jazzmusik.
    Erst als Klepp Anfang November einen neuen Schlagzeuger, Bobby aus dem »Einhorn«, also einen tüchtigen Mann fand, und mit dem Schlagzeuger auch zugleich ein Engagement in der Altstadt, sprachen wir wieder wie Freunde miteinander, auch wenn Klepp zu dem Zeitpunkt schon begann, im Sinne der KPD mehr zu reden als zu. denken.
    Mir stand nur noch das Türchen zur Konzertagentur des Dr. Dösch offen. Zu Maria konnte und wollte ich nicht zurückkehren, zumal ihr Verehrer, der Stenzel, sich scheiden lassen wollte, um nach der Scheidung meine Maria zu einer Maria Stenzel machen zu können. Dann und wann schlug ich beim Korneff im Bittweg eine Grabsteininschrift, fand auch in die Akademie, ließ mich von fleißigen Kunstjüngern anschwärzen und abstrahieren, besuchte recht oft, doch ohne alle Absichten, die Muse Ulla, die die Verlobung mit dem Maler Lankes kurz nach unserer Reise zum Atlantikwall lösen mußte, weil Lankes nur noch teure Nonnenbilder malen, die Muse Ulla nicht einmal mehr schlagen wollte.
    Das Visitenkärtchen des Dr. Dösch aber lag still und aufdringlich auf meinem Tisch neben der Badewanne. Als ich es eines Tages zerriß, wegwarf, weil ich mit dem Dr. Dösch nichts zu tun haben wollte, mußte ich mit Entsetzen feststellen, daß ich die Telefonnummer und auch die genaue Adresse der Konzertagentur wie ein Gedicht auswendig hersagen konnte. Das tat ich drei Tage lang, konnte der Telefonnummer wegen nicht einschlafen, suchte deshalb am vierten Tag eine Telefonkabine auf, wählte die Nummer, bekam den Dösch an den Apparat, der tat so, als habe er meinen Anruf stündlich erwartet, und er bat mich, am Nachmittag desselben Tages in die Agentur zu kommen, er wolle mich dem Chef vorstellen: Der Chef erwartet den Herrn Matzerath.
    Die Konzertagentur »West« befand sich in der achten Etage eines neuerbauten Bürohochhauses. Bevor ich den Fahrstuhl bestieg, fragte ich mich, ob sich hinter dem Namen der Agentur nicht ein ärgerliches Politikum verberge. Wenn es eine Konzertagentur »West« gibt, findet sich in einem ähnlichen Bürohochhaus gewiß auch eine Agentur »Ost«. Der Name war nicht ungeschickt gewählt, denn sogleich gab ich der Agentur »West« den Vorzug und hatte, als ich im achten Stockwerk den Fahrstuhl verließ, das gute Gefühl, auf dem Wege zur rechten Agentur zu sein. Spannteppiche, viel Messing, indirekte Beleuchtung, alles schalldicht, Tür an Tür Eintracht, Sekretärinnen, die langbeinig und knisternd den Zigarrengeruch ihrer Chefs an mir vorbei trugen; fast lief ich den Büroräumen der Agentur »West« davon.
    Dr. Dösch empfing mich mit offenen Armen. Oskar war froh, daß er ihn nicht an sich drückte. Die Schreibmaschine eines grünen Pullovermädchens schwieg, als ich eintrat, holte dann alles nach, was sie meines Eintrittes wegen versäumt hatte. Dösch meldete mich beim Chef an. Oskar nahm Platz auf dem vorderen linken Sechstel eines englischrot gepolsterten Sessels. Dann tat sich eine Flügeltür auf, die .Schreibmaschine hielt die Luft an, ein Sog nahm mich vom Polster, die Türen schlössen hinter mir, ein Teppich floß durch einen lichtenSaal, der Teppich nahm mich mit, bis ein Stahlmöbel mir sagte: jetzt steht Oskar

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