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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Minuten brauchte ich, um in dem verschlafenen Vorort Gerresheim per Telefon ein Taxi aufzutreiben. Das brachte mich zum Hauptbahnhof. Während der Fahrt zählte ich meine Geldmittel, verzählte mich aber oft, weil ich immer wieder morgendlich hell und frisch lachen mußte. Dann blätterte ich meinen Reisepaß durch, fand dort, dank der Fürsorge der Konzertagentur »West«, ein gültiges Visum für Frankreich, ein gültiges Visum für die Vereinigten Staaten; es war schon immer der Lieblingswunsch des Dr. Dösch gewesen, jenen Ländern eine Konzerttournee des trommelnden Oskar zu bescheren.
    Voilå, sagte ich mir, fliehen wir nach Paris, das macht sich gut, hört sich gut an, könnte im Film vorkommen, mit dem Gabin, der mich Pfeife rauchend und gutmütig hetzt. Wer aber spielt mich?
    Chaplin? Picasso? — Lachend und angeregt durch diese Fluchtgedanken schlug ich mir immer noch auf meine leicht zerknitterten Hosen, als der Taxichauffeur sieben DM von mir haben wollte. Ich zahlte und frühstückte in den Bahnhofsgaststätten. Neben dem weichgekochten Ei hielt ich mir den Fahrplan der Bundesbahn, fand einengünstigen Zug, hatte nach dem Frühstück noch Zeit, mich mit Devisen zu versorgen, kaufte auch ein feinledernes Köfferchen, füllte das, da ich den Rückweg in die Jülicher Straße scheute, mit teuren, aber schlecht sitzenden Hemden, packte einen blaßgrünen Schlafanzug, Zahnbürste, Zahnpasta und so weiter dazu, löste, da ich nicht sparen mußte, ein Billett erster Klasse und fühlte mich bald darauf in einem gepolsterten Fensterplatz wohl; ich floh und mußte nicht laufen. Auch halfen die Polster meinen Überlegungen: Oskar überlegte sich, sobald der Zug anfuhr und die Flucht begann, etwas Fürchtenswertes; denn nicht grundlos sagte ich mir: Ohne Furcht keine Flucht! Was aber, Oskar, ist dir fürchterlich und einer Flucht wert, wenn dir die Polizei zu nichts anderem als zu morgendlich hellem Gelächter verhilft?
    Heute bin ich dreißig Jahre alt, habe Flucht und Prozeß zwar hinter mir, doch jene Furcht, die ich mir auf der Flucht einredete, ist geblieben.
    Waren es die Schienenstöße, war es das Liedchen der Eisenbahn? Monoton kam der Text, fiel mir kurz vor Aachen auf, setzte sich in mir, der ich mich in den Polstern erster Klasse verlor, fest, blieb auch hinter Aachen — wir passierten etwa um halb elf die Grenze — deutlich und immer fürchterlicher, so daß ich froh war, als die Zollbeamten mich etwas ablenkten; die zeigten für meinen Buckel mehr Interesse als für meinen Namen, für meinen Paß — und ich sagte mir: dieser Vittlar, dieser Langschläfer! Jetzt ist es bald elf, und er hat immer noch nicht mit dem Weckglas unterm Arm zur Polizei gefunden, während ich mich seit frühester Morgenstunde seinetwegen auf der Flucht befinde, mir Furcht einrede, damit die Flucht auch einen Motor hat; oh wie fürchtete ich mich in Belgien, als die Eisenbahn sang: Ist die Schwarze Köchin da? Jajaja! Ist die Schwarze Köchin da?
    Jajaja ...
    Heute bin ich dreißig Jahre alt, soll jetzt durch die Wiederaufnahme des Prozesses, durch den zu erwartenden Freispruch zum Laufen gebracht, in Eisenbahnen, Straßenbahnen dem Text ausgesetzt werden: Ist die Schwarze Köchin da? Jajaja!
    Dennoch und abgesehen von meiner Furcht vor einer Schwarzen Köchin, deren fürchterlichen Auftritt ich auf jeder Station erwartete, war die Fahrt schön. Ich blieb alleine in meinem Abteil — vielleicht saß sie im Nachbarabteil — lernte belgische, dann französische Zollbeamte kennen, schlief dann und wann fünf Minütchen, erwachte mit kleinem Aufschrei und blätterte, um der Schwarzen Köchin nicht allzu schutzlos ausgeliefert sein zu müssen, in der Wochenzeitschrift »Der Spiegel«, die ich mir noch in Düsseldorf durchs Abteilfenster hatte reichen lassen, verwunderte mich immer wieder über das umfangreiche Wissen der Journalisten, fand sogar eine Glosse über meinen Manager, den Dr. Dösch der Konzertagentur »West«, fand dort bestätigt, was ich wußte: Döschs Agentur besaß nur einen tragenden Pfeiler: Oskar den Trommler — recht gutes Foto von mir. Und so stellte sich der Pfeiler Oskar bis kurz vor Paris jenen Zusammenbruch der Konzertagentur »West« vor, den meine Verhaftung und der schreckliche Auftritt der Schwarzen Köchin verursachen mußten.
    Ich habe mich mein Lebtag nicht vor der Schwarzen Köchin gefürchtet. Erst auf der Flucht, da ich mich fürchten wollte, kroch sie mir unter die Haut, verblieb dort, wenn

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