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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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mehreren Trommeln gleichzeitig laut werden und dem Markus ins traurige Hundegesicht blicken. Wenn ich auch nicht wußte, wo seine Gedanken herkamen, ahnte ich, wo sie hingingen, daß sie in der Tischlergasse weilten, dort an numerierten Zimmertüren schabten oder sie hockten gleich dem armen Lazarus unter dem Marmortischchen des Cafe Weitzke, worauf wartend? Auf Krümel?
    Mama und Jan Bronski ließen kein Krümelchen übrig. Die aßen alles selbst auf. Die hatten den großen Appetit, der nie aufhört, der sich selbst in den Schwanz beißt. Die waren so beschäftigt, daß sie die Gedanken des Markus unter dem Tisch allenfalls für die aufdringliche Zärtlichkeit eines Luftzuges genommen hätten.
    An einem jener Nachmittage — es wird im September gewesen sein, denn Mama verließ den Laden des Markus im rostbraunen Herbstkomplet — trieb es mich, da ich den Markus versunken, vergraben und wohl auch verloren hinter dem Ladentisch wußte, mit meiner gerade neuerstandenen Trommel hinaus in die Zeughauspassage, den kühldunklen Tunnel, an dessen Seiten sich ausgesuchteste Geschäfte, wie Juwelierläden, Feinkosthandlungen und Büchereien, Schaufenster an Schaufenster reihten. Mich hielt es jedoch nicht vor den sicher preiswerten, mir dennoch unerschwinglichen Auslagen; vielmehr trieb es mich aus dem Tunnel hinaus auf den Kohlenmarkt. Mitten hinein in staubiges Licht stellte ich mich vor die Fassade des Zeughauses, deren basaltfarbenes Grau mit verschieden großen Kanonenkugeln, verschiedenen Belagerungszeiten entstammend, gespickt war, damit jene Eisenbuckel die Historie der Stadt jedem Passanten in Erinnerung riefen. Mir sagten die Kugeln nichts, zumal ich wußte, daß sie nicht von alleine stecken geblieben waren, daß es einen Maurer in dieser Stadt gab, den das Hochbauamt in Verbindung mit dem Amt für Denkmalschutz beschäftigte und bezahlte, damit er die Munition vergangener Jahrhunderte in den Fassaden diverser Kirchen, Rathäuser, so auch in der Front-wie Rückseite des Zeughauses einmauerte.
    Ich wollte ins Stadttheater, das zur rechten Hand, nur durch eine schmale, lichtlose Gasse vom Zeughaus getrennt, sein Säulenportal zeigte. Da ich das Stadttheater, wie ich es mir gedacht hatte, um diese Zeit verschlossen fand — die Abendkasse machte erst um sieben auf — trommelte ich mich unentschlossen, schon einen Rückzug erwägend, nach links, bis Oskar zwischen dem Stockturm und dem Langsamer Tor stand. Durch das Tor in die Langgasse und dann links einbiegend in die Große Wollwebergasse wagte ich mich nicht, denn da saßen Mama und Jan Bronski, und wenn sie noch nicht saßen, so waren sie in der Tischlergasse vielleicht gerade fertig oder schon unterwegs zu ihrem erfrischenden Mokka am Marmortischchen.
    Ich weiß nicht, wie ich über die Fahrbahn des Kohlenmarktes kam, auf der ständig Straßenbahnen entweder durchs Tor wollten oder sich aus dem Tor klingelnd und in der Kurve kreischend zum Kohlenmarkt, Holzmarkt, Richtung Hauptbahnhof wanden. Vielleicht nahm mich ein Erwachsener, ein Polizist womöglich bei der Hand und leitete mich fürsorglich durch die Gefahren des Verkehrs.
    Ich stand vor dem steil gegen den Himmel gestützten Backstein des Stockturms und klemmte eigentlich nur zufällig, aus aufkommender Langeweile meine Trommelstöcke zwischen das Mauerwerk und den eisenbeschlagenen Anschlag der Turmtür. Sobald ich den Blick am Backstein hochschickte, war es schwierig, ihn an der Fassade entlanglaufen zu lassen, weil sich ständig Tauben aus Mauernischen und Turmfenstern abstießen, um gleich darauf auf Wasserspeiern und Erkern für kurze, taubenbemessene Zeit zu ruhen, dann wieder abfallend vom Gemäuer meinen Blick mitzureißen.
    Mich ärgerte das Geschäft der Tauben. Mein Blick war mir zu schade, ich nahm ihn zurück und benutzte ernsthaft, auch um meinen Ärger loszuwerden, beide Trommelstöcke als Hebel: die Tür gab nach und Oskar war, ehe er sie ganz aufgestoßen hatte, schon drinnen im Turm, schon auf der Wendeltreppe, stieg schon, immer das rechte Bein vorsetzend, das linke nachziehend, erreichte die ersten vergitterten Verliese, schraubte sich höher, ließ die Folterkammer mit ihren sorgfältig gepflegten und unterweisend beschrifteten Instrumenten hinter sich, warf beim weiteren Aufstieg — er setzte jetzt das linke Bein vor, zog das rechte nach — einen Blick durch ein schmalvergittertes Fenster, schätzte die Höhe ab, begriff die Dicke des Mauerwerkes, scheuchte Tauben auf, traf

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