Die Blechtrommel
schon wieder Nägel, als Axel Mischke der Suppe eine weitere Zutat, einen zerstoßenen Ziegelstein, beimengte. Oskar sah diesen Kochversuchen neugierig zu, stand aber abseits. Aus Decken und Lumpen hatten Axel Mischke und Harry Schlager so etwas wie ein Zelt errichtet, damit ihnen kein Erwachsener in die Suppe gucken konnte. Als das Ziegelsteinmehl aufkochte, entleerte Hänschen Kollin seine Taschen und stiftete zwei lebende Frösche für die Suppe, die er am Aktienteich gefangen hatte. Susi Kater, das einzige Mädchen in dem Zelt, zeigte sich um den Mund herum enttäuscht und bitter, als die Frösche so sang-und klanglos, auch ohne jeden letzten Sprungversuch in der Suppe untergingen. Zuerst machte Nuchi Eyke seine Hose auf und pinkelte, ohne auf Susi Rücksicht zu nehmen, in das Eintopfgericht. Axel, Harry und Hänschen Kollin taten es ihm nach. Als Klein-Käschen es den Zehnjährigen zeigen wollte, gab sein Schnibbel nichts her. Alle blickten nun Susi an, und Axel Mischke reichte ihr einen persilblau emaillierten, an den Rändern bestoßenen Kochtopf. Eigentlich wollte Oskar sofort gehen. Aber er wartete noch, bis sich Susi, die wohl keine Höschen unter dem Kleid trug, niederhockte, dabei die Knie umklammerte, sich zuvor den Topf unterschob, mit glatten Augen vor sich hinsah, dann die Nase krauste, als der Topf blechern klingelnd verriet, daß Susi etwas für die Suppe übrig hatte.
Ich lief damals davon. Ich hätte nicht laufen, sondern ruhig gehen sollen. Weil ich aber lief, blickten mir alle nach, die zuvor mit den Augen noch in dem Kochtopf gefischt hatten. Ich hörte Susi Katers Stimme, »Da will uns väpetzen, was scheest ä so!« in meinem Rücken, das stach mich noch, als ich schon die vier Treppen hochstolperte und erst auf dem Dachboden wieder zu Atem kam.
Siebeneinhalb war ich. Susi zählte vielleicht neun. Klein-Käschen war knapp acht. Axel, Nuchi, Hänschen und Harry zehn oder elf. Es gab noch Maria Truczinski. Die war etwas älter als ich, spielte jedoch nie im Hof, sondern mit Puppen in Mutter Truczinskis Küche oder mit ihrer erwachsenen Schwester Guste, die im evangelischen Kindergarten aushalf.
Was Wunder, wenn ich es heute noch nicht anhören kann, wenn Frauen auf Nachttöpfen urinieren. Als Oskar damals die Trommel rührend sein Ohr besänftigt hatte, sich auf dem Dachboden der unten brodelnden Suppe entrückt fühlte, kamen sie alle, barfuß und in Schnürschuhen, die da zur Suppe beigesteuert hatten, und Nuchi brachte die Suppe mit. Sie lagerten sich um Oskar, als Nachzügler kam Klein-Käschen. Sie stießen einander an, zischten: »Nu mach!« bis Axel den Oskar von hinten packte, ihn, seine Arme zwängend, gefügig werden ließ und Susi, mit feuchten, regelmäßigen Zähnen, mit der Zunge dazwischen lachend, nichts dabei fand, wenn man es tue. Nuchi nahm sie den Löffel ab, wischte das Blechding an ihren Schenkeln silbrig, tauchte das Löffelchen in den dampfenden Topf, rührte langsam, den Widerstand des Breies auskostend, einer guten Hausfrau gleich, darin herum, pustete kühlend in den gefüllten Löffel und fütterte endlich Oskar, mich fütterte sie, ich habe so etwas nie wieder gegessen, der Geschmack wird mir bleiben.
Erst als mich jenes um mein Leibeswohl so übermäßig besorgte Volk verlassen hatte, weil es Nuchi in den Topf hinein übel wurde, kroch auch ich in eine Ecke des Trockenbodens, auf dem damals nur einige Bettlaken hingen, und gab die paar Löffel rötlichen Sud von mir, ohne im Ausgespieenen Froschreste entdecken zu können. Auf eine Kiste unter der offenen Bodenluke kletterte ich, schaute auf entlegene Höfe, ließ Ziegelsteinrückstände zwischen den Zähnen knirschen, verspürte den Drang nach einer Tat, musterte die fernen Fenster der Häuser an der Marienstraße, blinkendes Glas, schrie, sang fernwirkend in jene Richtung, konnte zwar keinen Erfolg beobachten und war dennoch von den Möglichkeiten des fernwirkenden Gesanges so überzeugt, daß mir der Hof und die Höfe fortan zu eng wurden, daß ich nach Ferne, Entfernung und Fernblick hungernd jede Gelegenheit wahrnahm, die mich alleine oder an Mamas Hand aus dem Labesweg, dem Vorort führte und den Nachstellungen aller Suppenköche auf unserem engen Hof enthob.
Am Donnerstag jeder Woche machte Mama Einkäufe in der Stadt. Meistens nahm sie mich mit.
Immer nahm sie mich mit, wenn es galt, beim Sigismund Markus in der Zeughauspassage am Kohlenmarkt eine neue Trommel zu kaufen. In jener Zeit, etwa von meinem
Weitere Kostenlose Bücher