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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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gespielt.
    Nun, was die anderen Kinder betrifft, mag sie nicht ganz unrecht haben. War ich doch so durch Gretchen Schefflers Lehrbetrieb beansprucht, so zwischen Goethe und Rasputin hin und her gerissen, daß ich selbst beim besten Willen keine Zeit für Ringelreihn und Abzählspiele fand. Sooft ich aber gleich einem Gelehrten die Bücher mied, sogar als Buchstabengräber verfluchte und auf Kontakt mit dem einfachen Volk aus war, stieß ich auf die Gören unseres Mietshauses, durfte froh sein, wenn es mir nach einiger Berührung mit jenen Kannibalen gelang, heil zu meiner Lektüre wieder zurückzufinden.
    Oskar konnte die Wohnung seiner Eltern entweder durch den Laden verlassen, dann stand er auf dem Labesweg, oder er schlug die Wohnungstür hinter sich zu, befand sich im Treppenhaus, hatte links die Möglichkeit zur Straße geradeaus, die vier Treppen hoch zum Dachboden, wo der Musiker Meyn die Trompete blies, und als letzte Wahl bot sich der Hof des Mietshauses. Die Straße, das war Kopfsteinpflaster. Auf dem gestampften Sand des Hofes vermehrten sich Kaninchen und wurden Teppiche geklopft. Der Dachboden bot, außer gelegentlichen Duetten mit dem betrunkenen Herrn Meyn, Ausblick, Fernsicht und jenes hübsche, aber trügerische Freiheitsgefühl, das alle Turmbesteiger suchen, das Mansardenbewohner zu Schwärmern macht.
    Während der Hof für Oskar voller Gefahren war, bot ihm der Dachboden Sicherheit, bis Axel Mischke und sein Volk ihn auch dort vertrieben. Der Hof hatte die Breite des Mietshauses, maß aber nur sieben Schritte in die Tiefe und stieß mit einem geteerten, oben Stacheldraht treibenden Bretterzaun an drei andere Höfe. Vom Dachboden aus ließ sich dieses Labyrinth gut überschauen: die Häuser des Labesweges, der beiden Querstraßen Hertastraße und Luisenstraße und der entfernt gegenüberliegenden Marienstraße schlössen ein aus Höfen bestehendes beträchtliches Viereck ein, in dem sich auch eine Hustenbonbonfabrik und mehrere Krauterwerkstätten befanden. Hier und da drängten Bäume und Büsche aus den Höfen und zeigten die Jahreszeit an. Sonst waren die Höfe zwar in der Größe unterschiedlich, was aber die Kaninchen und Teppichklopfstangen anging, von einem Wurf. Während es die Kaninchen das ganze Jahr über gab, wurden die Teppiche, laut Hausordnung, nur am Dienstag und Freitag geklopft. An solchen Tagen bestätigte sich die Größe des Hofkomplexes.
    Vom Dachboden herab hörte und sah Oskar es: über hundert Teppiche, Läufer, Bettvorleger wurden mit Sauerkohl eingerieben, gebürstet, geklopft und zum endlichen Vorzeigen der eingewebten Muster gezwungen. Hundert Hausfrauen trugen Teppichleichen aus den Häusern, hoben dabei nackte runde Arme, bewahrten ihr Kopfhaar und dessen Frisuren in kurz geknoteten Kopftüchern, warfen die Teppiche über die Klopfstangen, griffen zu geflochtenen Teppichklopfern und sprengten mit trockenen Schlägen die Enge der Höfe.
    Oskar haßte diese einmütige Hymne an die Sauberkeit. Auf seiner Trommel kämpfte er gegen den Lärm an und mußte sich dennoch, auch auf dem Dachboden, der ja Distanz bot, seine Ohnmacht den Hausfrauen gegenüber eingestehen. Hundert teppichklopfende Weiber können einen Himmel erstürmen, können jungen Schwalben die Flügelspitzen stumpf machen und brachten Oskars in die Aprilluft getrommeltes Tempelchen mit wenigen Schlägen zum Einsturz.
    An Tagen, da keine Teppiche geklopft wurden, turnten die Gören unseres Mietshauses an der hölzernen Teppichklopfstange. Selten war ich auf dem Hof. Nur der Schuppen des alten Herrn Heilandt bot mir dort einige Sicherheit, denn der Alte ließ nur mich in seine Rumpelkammer und erlaubte den Gören kaum einen Blick auf die verrotteten Nähmaschinen, unvollständigen Fahrräder, Schraubstöcke, Flaschenzüge und in Zigarrenschachteln aufbewahrten krummen und wieder gerade geklopften Nägel. Das war so eine Beschäftigung: wenn er nicht Nägel aus Kistenbrettern zog, klopfte er am Vortag gezogene Nägel auf einem Amboß gerade. Abgesehen davon, daß erkeinen Nagel verkommen ließ, war er auch der Mann, der bei Umzügen half, der vor Festtagen die Kaninchen schlachtete, der überall auf dem Hof, im Treppenhaus und auf dem Dachboden seinen Kautabaksaft hinspuckte.
    Als die Gören eines Tages, wie Kinder es tun, neben seinem Schuppen eine Suppe kochten, bat Nuchi Eyke den alten Heilandt, dreimal in den Sud zu spucken. Der Alte tat es von weit herholend, verschwand dann in seinem Kabuff und klopfte

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