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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Rote Kreuz und will mir den sojenannten Notverband anlegen.«
    »Was mischte dir da auch rein«, ärgerte sich Mutter Truczinski und zog sich eine Stricknadel aus dem Dutt. »Dabei gehste sonst nie nich inne Kirche. Im Gegenteil!«
    Herbert winkte ab, ging, das Hemd mitschleifend, die Hosenträger hängen lassend, aufs Klo. Ärgerlich ging er, sagte auch ärgerlich: »Und das is de Narbe«, trat diesen Gang an, als wollte er sich von der Kirche und den mit ihr verbundenen Messerstechereien ein für allemaldistanzieren, als sei das Klo der Ort, auf dem man Freidenker ist, wird oder bleibt.
    Wenige Wochen später fand ich Herbert wortlos und zu keiner Fragestunde bereit. Vergrämt kam er mir vor und hatte dennoch nicht den gewohnten Rückenverband. Vielmehr fand ich ihn ganz normal auf dem Rücken liegend im Wohnzimmer auf dem Sofa. Er lag nicht als Verletzter in seinem Bett und schien dennoch schwer verletzt zu sein. Seufzen hörte ich Herbert, Gott, Marx und Engels anrufen und verfluchen. Ab und zu schüttelte er die Faust in der Zimmerluft, ließ die dann auf seine Brust fallen, half mit der anderen Faust nach, und er behämmerte sich wie ein Katholik, der mea culpa ruft, mea maxima culpa.
    Herbert hatte einen lettischen Kapitän erschlagen. Zwar sprach das Gericht ihn frei — er hatte, wie das in seinem Beruf oft genug vorkommt, aus Notwehr gehandelt. Der Leite jedoch blieb trotz des Freispruches ein toter Leite und belastete den Kellner zentnerschwer, obgleich es von dem Kapitän hieß: er war ein zierliches, obendrein magenkrankes Männlein.
    Herbert ging nicht mehr zur Arbeit. Er hatte gekündigt. Oft kam der Wirt Starbusch, setzte sich zu Herbert neben das Sofa oder zu Mutler Truczinski an den Küchentisch, holte für Herbert eine Flasche Stobbes Machandel nullnull aus seiner Aktentasche, für Mutter Truczinski ein halbes Pfund ungebrannten Bohnenkaffee, der aus dem Freihafen stammte. Entweder versuchte er, Herbert zu bereden, oder er beredete Mutter Truczinski, ihren Sohn zu bereden. Aber Herbert blieb hart oder weich — wie man es nennen will —, er wollte nicht mehr kellnern, in Neufahrwasser, der Seemannskirche gegenüber, schon ganz und gar nicht. Überhaupt nicht mehr kellnern wollte er; denn wer kellnert, wird gestochen, und wer gestochen wird, schlägt eines Tages einen kleinen lettischen Kapitän tot, nur weil er sich den Kapitän vom Leibe halten will, nur weil er einem lettischen Messer nicht erlauben will, neben all den finnischen, schwedischen, polnischen, freistädtischen und reichsdeutschen Narben noch eine lettische Narbe auf dem kreuz und quer gepflügten Rücken eines Herbert Truczinski zu hinterlassen.
    »Eher geh ich zum Zoll, als daß ich mir noch mal mecht auf Kellnern in Fahrwasser einlassen«, sagte Herbert. Aber er ging nicht zum Zoll.

NIOBE
    Im Jahre achtunddreißig wurden die Zölle erhöht, zeitweilig die Grenzen zwischen Polen und dem Freistaat geschlossen. Meine Großmutter konnte nicht mehr mit der Kleinbahn zum Langfuhrer Wochenmarkt kommen; ihren Stand mußle sie schließen. Sie blieb sozusagen auf ihren Eiern sitzen, ohne die rechte Lust zum Brüten zu haben. Im Hafen stanken die Heringe zum Himmel, die Ware stapelte sich, und die Staatsmänner trafen sich, wurden sich einig; nur mein Freund Herbert lag zwiespältig und arbeitslos auf dem Sofa und grübelte wie ein echter vergrübelter Mensch.
    Dabei bot der Zoll Lohn und Brot. Grüne Uniformen bot er und eine grüne, bewachenswerte Grenze.
    Herbert ging nicht zum Zoll, wollte nicht mehr kellnern, wollte nur noch auf dem Sofa liegen und grübeln.
    Aber der Mensch muß eine Arbeit haben. Nicht nur Mutter Truczinski dachte so. Obgleich sie es ablehnte, auf Geheiß des Wirtes Starbusch ihren Sohn Herbert zum abermaligen Kellnern in Fahrwasser zu bereden, war sie dennoch dafür, Herbert vom Sofa zu locken. Auch er hatte die Zweizimmerwohnung bald satt, grübelte nur noch rein äußerlich und begann eines Tages, die Stellenangebote in den »Neuesten Nachrichten« und, widerwillig genug, im »Vorposten« nach einem Schauerchen durchzusehen.
    Gerne hätte ich ihm geholfen. Hatte ein Mann wie Herbert es nötig, außer der ihm angemessenen Beschäftigung in der Hafenvorstadt, anderen, behelfsmäßigen Verdiensten nachzugehen?
    Schauersuche, Gelegenheitsarbeit, faule Heringe vergraben. Ich konnte mir Herbert nicht auf den Mottlaubrücken vorstellen, nach Möwen spuckend, dem Kautabak verfallend. Es kam mir der Gedanke, ich könnte

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