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Die Bleiche Hand Des Schicksals

Die Bleiche Hand Des Schicksals

Titel: Die Bleiche Hand Des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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gestreifte Schürze über ihre Straßenkleidung gebunden.
    »Hier entlang«, sagte Mrs. Ketchem, und er folgte ihr den Gang hinunter, vorbei am Wohnzimmer mit den metallenen Aktenschränken, in einen kleinen Raum von der Größe eines Anrichtezimmers. »Das ist das Arztbüro«, sagte sie. Der Raum enthielt nichts Persönliches, weder Familienfotos noch Diplome an den Wänden. Schreibtisch und Stuhl waren billige Metallmöbel, die vermutlich aus Heeresbeständen stammten. Das einzige Fenster, hinter dem Schreibtisch, wurde halb von einem altmodischen grünen Rollo verdeckt, mit dicker silberner Kette und Griff.
    Die Tragweite dessen, was es bedeuten würde, hier sieben Jahre seines Lebens zu verbringen, brach wie eine Sturzwelle über ihn herein. Er würde fünfunddreißig Jahre alt sein, ehe er von diesen selbstgewählten Fesseln befreit wäre. Er würde ein Fünftel seines Lebens damit verbringen, jeden Tag hierherzukommen, an diesen idiotischen Plakaten vorbeizugehen, eine Folge kleiner alter Damen in gestreiften Schürzen zu grüßen, Patienten mit eingewachsenen Zehennägeln, Bindehautentzündungen und Grippe zu behandeln.
    Er umklammerte die Kante eines der Regale, die an den Zimmerwänden aufgestellt waren. Geschirrschränke, bemerkte er, ehemals für das Familienporzellan und Töpfe und Pfannen genutzt. Jetzt standen dort Anatomiebücher, medizinische Texte, Journale in stoffbespannten Schubern. Die Bücher. Voll von dem Wissen, das er anstrebte. Er atmete wieder ein, zwang sich, sich zu entspannen, sich mit scheinbarer Anerkennung umzusehen. Es gab Medizinstudenten, die sich ihre Ausbildung in Großstadtghettos verdienten, oder in Dörfern in den Appalachen, in denen die Patienten barfuß waren und die eigenen Cousins heirateten. Damit verglichen, war die Rückkehr nach Millers Kill ein Waldspaziergang.
    »Großartig«, sagte er. »Bewundernswert, was Sie hier geleistet haben.«
    »Kommen Sie mit nach oben. Wenn nicht alle besetzt sind, können Sie ein paar der Untersuchungsräume besichtigen.«
    Er folgte ihr die große Treppe hinauf und über den Flur im ersten Stock. »Hier haben wir eine Damentoilette eingebaut«, sagte sie auf die erste Tür zur Linken weisend. »Die Abflussrohre sind mit der Küche unten verbunden. Die Herrentoilette ist das ehemalige Bad. Ich dachte mir, Männer brauchen nicht so viel Platz wie Frauen. Dieser ist besetzt, der auch.«
    Sie zeigte auf die geschlossenen Türen, an denen sie vorbeigingen.
    »Hier«, sagte sie und trat durch die letzte Tür im Korridor. Schlicht, aber mit allem, was er erwartet hatte. Der Holzboden war durch Linoleum ersetzt worden. Sie sah, wie er ihn betrachtete. »Die Ärzte sagten, man könnte Holz nicht steril halten. Das Zeug hier kann man mit krankenhaustauglichen Desinfektionsmitteln schrubben.«
    Einen Augenblick lang fragte er sich, ob der Klinikdirektor auch dafür zuständig sein würde.
    Mrs. Ketchem verschränkte die Arme und sah durch eines der beiden Fenster. »Dieses Haus gehörte den Großeltern meines Mannes, ehe es an meine Schwiegereltern und danach an mich fiel. Großmutter Ketchem war sehr stolz darauf. Ich kann mir nicht helfen, manchmal stelle ich mir vor, wie die alten Leute sich im Grab umdrehen wegen der Dinge, die ich dem Haus angetan habe.«
    »Warum?« Allan konnte die Frage nicht zurückhalten, die in ihm gärte, seit er das schäbige Haus in der Ferry Street gesehen hatte. »Ich meine, es ist großartig, dass Sie Ihr Geld dafür hergeben, aber meistens sind Menschen, die so etwas tun, reich. Wollten Sie dieses Haus nicht für sich behalten? Sie wissen schon, stilvoll leben?«
    Sie antwortete nicht gleich, und er fragte sich, ob er es vermasselt hatte, indem er zugab, dass er nicht zu den Leuten gehörte, die Geld weiterverschenkten, sobald es ihnen in die Hände fiel. »Ich habe mein erstes Kind in diesem Zimmer geboren«, sagte sie schließlich. Sie ließ ihren Blick über Wände und Fenster schweifen, als sähe sie in die Vergangenheit. »Wir hatten eine Farm im Tal des Sacandaga River, eine halbe Tagesfahrt mit dem Pferdewagen von hier entfernt, und etwas anderes hatten wir nicht. Deshalb hat mich mein Mann hierhergebracht, als der Zeitpunkt näherrückte, in die Stadt zu seinen Großeltern. Hier habe ich meinen Sohn Peter zur Welt gebracht.« Ihre Stimme klang immer dünner, als käme sie aus weiter Ferne.
    Sie sah Allan direkt an. »Ich werde Ihnen etwas erzählen, über das ich sonst nie spreche, weil ich will, dass

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