Die Bleiche Hand Des Schicksals
Die Straßen belebten sich, als sie sich der Stadtmitte näherten. Sie fuhren an einer Autowerkstatt vorbei, einem Reifenhandel, einer kahlen Gärtnerei, die in dem langen kalten Zeitraum zwischen Valentins-und Muttertag geschlossen war. »Falls jemand sich verantwortlich fühlen sollte, dann ich. Es ist definitiv meine Entscheidung. Aber selbst angesichts dessen habe ich sie als Teil der Gruppe getroffen, nicht als Einzelperson. Weder Sie noch ich können allein die Verantwortung übernehmen. Wir sind eine Demokratie.«
»Eine Oligarchie«, murmelte Clare.
»Vielleicht.« Mrs. Marshall klang amüsiert. »Aber Sie erkennen, worauf ich hinauswill.«
Clare drehte die Handflächen nach oben. Mrs. Marshall bog auf die Barkley Avenue ab.
»Was zum Teufel?«, sagte Mrs. Marshall. Vom anderen Ende der Avenue jagten zwei Einsatzwagen auf sie zu. Die ältere Frau riss das Steuer herum und zog mit der Schnauze voran in die nächste Parklücke, aber statt an ihnen vorbeizurasen, kamen die beiden Streifenwagen direkt vor der Klinik schlitternd zum Stehen. Clare stieß ihre Tür auf und sprang gerade noch rechtzeitig heraus, um den Polizeichef und den jüngsten Beamten des Departments, Kevin Flynn, die Stufen zum Gebäude hinaufpoltern zu sehen.
Clare wollte schon über die Straße sprinten, riss sich aber zusammen und drehte sich um, um nachzusehen, ob Mrs. Marshall Hilfe brauchte. Das Fahrerfenster glitt geräuschlos hinunter und Mrs. Marshall sagte: »Ich muss noch mal einparken. Gehen Sie vor, ich komme sofort nach. Seien Sie vorsichtig, meine Liebe.«
Mehr an Erlaubnis brauchte sie nicht. Clare rannte auf die Klinik zu, ihre Stiefel preschten durch den Matsch. Eine der breiten Doppeltüren stand weit offen, und sie schlüpfte hindurch in ein winziges Foyer, das mit Informationsbroschüren zu Aidsprävention, häuslicher Gewalt, Impfplänen und Grippeimpfungen gepflastert war. Die Innentüren, schwere, moderne Feuerschutztüren, die unzweifelhaft ältere und elegantere ersetzt hatten, waren geschlossen, aber Clare konnte Kreischen und Brüllen aus dem Inneren hören.
Sie schob sich in die Klinik. Sie stand in einem mit Holzdielen ausgelegten Flur, auf dessen rechter Seite sich Schiebetüren in ein Wartezimmer öffneten. Die orangefarbenen Plastikstühle darin waren umgeworfen, Kinderspielzeug lag überall verstreut.
Direkt vor Clare führte eine Mahagonitreppe zu einem Absatz, auf dem eine rothaarige Frau im Schwesternkittel einen gedrechselten Pfosten umklammerte und einen unsichtbaren Korridor hinabstarrte, aus dem die inzwischen noch lauteren Geräusche kamen.
»Oh!« Sie entdeckte Clare und hastete die Treppen hinunter. Sie war winzig, einen Kopf kleiner als Clare, und mit ihren Turnschuhen, den Jeans und dem langen Zopf, der ihr auf den Rücken fiel, hätte Clare sie für einen Teenager gehalten, der freiwillig aushalf, wären da nicht die Fältchen um ihre scharfen skeptischen Augen und der weiße Kittel gewesen, auf dem SCHWESTER L. RAYFIELD stand.
»Ich fürchte, wir haben gerade ein paar kleine Probleme. Sie können …« Schwester L. Rayfield sah sich mit gerunzelter Stirn flüchtig um. »Sie können in dem Büro dort hinten warten. Ich komme, so schnell ich kann.«
»Ist schon in Ordnung«, sagte Clare. »Ich bin Pastorin.« Ohne abzuwarten, welche Wirkung diese vollkommen irrelevante Bemerkung auf die Frau hatte, lief Clare die Treppe hinauf.
»Sie sind was? He, warten Sie! Kommen Sie zurück!«
Der vom Absatz abzweigende Korridor führte über die Breite des Hauses zu einem dunkelgrauen Aufzug, der im schrillen Kontrast zu den offenen Kassettentüren aus Mahagoni stand, die vom Flur abgingen. Über das Kreischen und Brüllen aus dem letzten Zimmer rechts konnte Clare die Stimme von Russ Van Alstyne vernehmen, voller Autorität und mühsam beherrscht.
»Stellen Sie den Hocker ab! Weg von dem Schrank.«
Sie spürte eine Vibration im Boden, und als sie sich umdrehte, sah sie, wie die Schwester die Treppe heraufkam. Clare rannte den Flur hinab und kam vor der geöffneten Tür schlitternd zum Stehen.
Russ und Kevin Flynn standen mit dem Rücken zur Tür und versuchten eine wild dreinblickende Debba Clow in die Zange zu nehmen, die einen Stahlhocker wie einen Vorschlaghammer gegen einen Vitrinenschrank voller Medikamente schwang. »… mich selbst gegen das Ungeheuer verteidigen, das mir meine Kinder wegnehmen lassen will!«, kreischte sie.
»Und Ihr Verhalten gibt mir recht«, röhrte Dr. Rouse, der
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