Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bleiche Hand Des Schicksals

Die Bleiche Hand Des Schicksals

Titel: Die Bleiche Hand Des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
Vom Netzwerk:
aber sie war noch immer wie im Tran, wie ihre Großmutter gesagt hätte, als sie ihre Papiere einsammelte und in ihr Büro zurückkehrte.
    Sie war überrascht, Mr. Madsen vor der Tür zum Versammlungsraum vorzufinden.
    »Danke für den Versuch«, sagte er und klang wesentlich mehr nach seinem ausgeglichenen Selbst. »Nicht, dass er etwas genützt hat, aber ich weiß die Mühe zu schätzen.«
    »Ich fühle mich wie damals als Kind, als ich herausfand, dass wir in die Nähe meiner Großeltern ziehen würden. Ich war total begeistert, bis mir klar wurde, dass alle meine Freunde zurückbleiben würden. Ich schätze, so definiert man gemischte Gefühle.« Sie sah zu ihm auf. »Ich war überrascht, wie, äh, leidenschaftlich Sie die Frage beschäftigt. Sie müssen ein großer Unterstützer der Klinik sein.«
    »Eigentlich nicht, nein.«
    »Weshalb haben Sie die Stiftung dann so vehement verteidigt?«
    »Jane Mairs Ketchem, das ist der Grund. Sie dreht sich genau jetzt im Grab herum, und es würde mich nicht wundern, wenn sie sich aus dem Sarg kämpfte und hierhermarschierte, um ihre kostbare Klinik zu schützen.« Er fuhr mit der Hand über seinen vollen, weißen Bürstenhaarschnitt. »Ich verrate Ihnen was. Sie war die einzige Frau, die mir jemals Angst eingejagt hat. Und die Tatsache, dass sie tot ist, hat diese Angst nicht geringer werden lassen.«

7 Montag, 13. März
    A m nächsten Montag begleitete Clare Mrs. Marshall zur Klinik.
    »Das müssen Sie wirklich nicht, meine Liebe«, sagte Mrs. Marshall, während sie ihre schwarzen Ziegenlederhandschuhe anzog und ihren Hut schräg auf die silbernen Wellen ihres Haares drückte.
    Sie standen in der geräumigen Diele des Hauses der Marshalls, eines von mehreren »Diensthäusern«, die in den sechziger Jahren für leitende Angestellte von General Electric am Stadtrand von Millers Kill errichtet worden waren. Damals war es auch eingerichtet worden – geschmackvoll und teuer –, und man hatte seitdem nichts verändert. Clare hatte seit ihrem letzten Besuch bei Ikea nicht mehr so viele Holzmöbel und Rauchglas gesehen.
    »Ich weiß«, sagte sie und angelte ihre klobigen Polarplus-Handschuhe aus den Taschen. »Sie müssten den Klinikleiter auch nicht persönlich in Kenntnis setzen. Aber Sie tun es.«
    Mrs. Marshall lächelte. Heute trug sie fuchsienroten Lippenstift, und der Kontrast zu ihrer weißen Haut war sensationell. »Ich vermute, wir wurden beide dazu erzogen, das Richtige zu tun, ob es uns nun gefällt oder nicht.«
    »Sie hätten meine Großmutter Fergusson kennenlernen müssen.« Clare öffnete die Haustür. »Sollen wir meinen Wagen nehmen oder Ihren?«
    Mrs. Marshall blieb auf den Stufen stehen, um den Shelby Cobra zu mustern, der neben ihrem Lincoln Town Car parkte und dringend in die Waschstraße musste. »Meinen, glaube ich.«
    Auf der Fahrt in die Stadt redeten sie nicht viel. Clare betrachtete die Landschaft, die inzwischen von matschigem, müdem Schnee bedeckt war, und versuchte, das üble Gefühl im Magen loszuwerden.
    Sie konnte Meinungsverschiedenheiten, Missbilligung, vielleicht sogar Verachtung mit Gleichmut begegnen. Aber sie hasste es, jemanden zu enttäuschen. Sie fürchtete diese Situation mit der gleichen überwältigenden Übelkeit, die sie als Kind empfunden hatte, wenn sie vor ihrer Mutter oder Großmutter stand und zugab, ja, sie hatte ihre neuen Schuhe verloren, ja, sie hatte die Zwillinge aus den Augen gelassen, ja, sie hatte einen Brief wegen schlechter Leistungen und Nachlässigkeit mit nach Hause gebracht.
    Mrs. Marshall konnte offensichtlich Gedanken lesen. »Es ist schwer, schlechte Nachrichten zu überbringen, nicht wahr?«
    »Das ist es eigentlich nicht«, erwiderte Clare. »Man kann nicht in der Armee oder der Kirche dienen, ohne zu lernen, wie man Dinge sagt, die die Menschen nicht hören wollen. Es ist das Gefühl, die Ursache der schlechten Nachrichten zu sein. Damit kann man nur schwer leben.«
    Mrs. Marshall bremste ab, um auf die Route 51 abzubiegen. »Meinen Sie nicht, dass Sie sich da ein bisschen zu viel Verantwortung aufbürden? Sie sind eine wunderbare Pastorin; ein bisschen ungeschliffen vielleicht, aber das wird sich mit zunehmender Erfahrung bestimmt geben …« Clare setzte sich aufrechter in den mit Samt bezogenen Sitz und kontrollierte verstohlen ihre schwarze Bluse auf Frühstücksspuren.
    »Aber Sie sind nicht St. Alban’s, meine Liebe, und Sie dürfen nicht herumlaufen und sich mit der Institution verwechseln.«

Weitere Kostenlose Bücher