Die Bleiche Hand Des Schicksals
Mrs. Rouse.
»Oh, du hast ja recht. Ab in die Küche mit mir. Ta-da. Bis nachher. Nett, Sie kennenzulernen, Reverend.« Sie redete immer noch, als die Tür zur Küche hinter ihr ins Schloss fiel. Clare zog ihren Mantel aus und hängte ihn in den Dielenschrank. Die Bibliothekarin?
Renee Rouse schloss die Augen. Sie klammerte sich an den Türrahmen, ihre Fingerknöchel waren weiß.
»Wie lange ist sie schon hier?«, fragte Mrs. Marshall.
»Seit neun.« Mrs. Rouse versuchte zu lächeln.
Mrs. Marshall nahm ihre Auflaufform. »Ich geh schnell in die Küche und beschäftige sie ein bisschen.«
»Gott segne dich, Lacey.« Renee Rouse drückte Mrs. Marshalls schlanken Arm. Sie war ganz ähnlich gekleidet wie die ältere Frau, in einen schlichten Pullover und eine warme Hose. Klassiker. Großmutter Fergusson hätte Beifall gespendet. Aber anders als Mrs. Marshall, die mit ihrem orangefarbenen Pullover und Lippenstift Wärme verströmte, wirkte Mrs. Rouse kühl. Die Mauer, die die Probleme des Lebens ferngehalten hatte, war im Verlauf eines Abends eingestürzt, und nun ertrank sie in der Realität.
»Reverend Fergusson.« Sie zwinkerte, als hätte sie Clare gerade erst bemerkt. »Danke, dass Sie gekommen sind.« Ihr Lächeln war eine schlechte Kopie der routinierten gesellschaftlichen Miene, die Clare bei ihrem letzten Besuch gesehen hatte.
Sie nahm Mrs. Rouses Hände. »Wie geht es Ihnen?«
»Es geht. Es schwankt von Minute zu Minute. Als mich gestern Abend der Polizist wegen Allans Auto anrief, war es sehr schlimm.« Sie biss sich auf die Zunge, und einen Augenblick schien es, als würde sie gleich weinen. »Aber Chief Van Alstyne ist hier, und aus dem, was er fragt, schließe ich, dass er noch immer die Hoffnung hegt, dass Allan … wohlauf ist.«
Clare drückte ihre Hände, bevor sie sie losließ. »Niemand könnte mehr als der Chief tun, um Ihren Ehemann zurückzuholen.« Weil selbst hoffnungsvolle Spekulationen über die Zukunft schmerzlich sein mochten, fuhr sie fort: »Erzählen Sie mir von Allan. Sie scheinen sich sehr nahe zu sein. Wie haben Sie sich kennengelernt?«
Diesmal lächelte Mrs. Rouse das echte Lächeln glücklicher Erinnerung. »Es war das älteste Klischee der Welt. Ich war seine Sekretärin.« Sie hakte sich bei Clare ein und führte sie durch den Türbogen ins Wohnzimmer. »Er hatte kurz vorher seine Facharztausbildung in New York abgeschlossen und gerade die Arbeit in der Klinik aufgenommen. Die alte Sekretärin konnte nicht richtig schreiben und weigerte sich, Tonbanddiktate abzutippen, deshalb kündigte er ihr.«
Clare konnte im Wohnzimmer drei Frauen erkennen, die sich auf dem Sofa drängten, und durch die Verbindungstür zum Esszimmer zwei weitere, die am polierten Tisch saßen. Jemand hatte offensichtlich einen Napfkuchen mitgebracht, und auf dem Tisch waren Kuchenteller aus Porzellan und einfache Kaffeetassen auf Untertassen verteilt, als hätte eine morgendliche Bridgepartie eine unerwartet düstere Wendung genommen.
»Ich arbeitete damals für die Glens-Falls-Versicherungsgesellschaft, war aber nicht besonders zufrieden dort, deshalb nahm ich die Gelegenheit wahr, als meine Mutter mir von dem hübschen, jungen, alleinstehenden Arzt erzählte, der nach einer Sekretärin suchte.«
»Und das war eindeutig ein kluger Karriereschachzug.«
Renee Rouse lachte. Die drei Frauen auf dem Sofa sahen sie flüchtig an, als wollten sie sich vergewissern, dass es sich nicht um die Eröffnungssalve eines hysterischen Anfalls handelte, und vertieften sich dann wieder in ihr Gespräch. Mrs. Rouse führte Clare zu einem kleinen Zweisitzer zwischen zwei Bücherschränken und setzte sich. »Es war das Beste, was ich jemals getan habe. Allan hatte sieben Jahre in New York gelebt, während des Studiums und danach, und er war der weltläufigste und gebildetste Mann, den ich jemals kennengelernt hatte. Er war vorher mit einer Frau aus New York befreundet, sah sie aber nicht mehr, und er beschwerte sich in der Klinik andauernd darüber, dass sein Leben nur aus Arbeit bestand, ohne das geringste Vergnügen. Eines Tages nahm ich mir ein Herz und sagte zu ihm: ›Warum fahren Sie am Samstagabend nicht mit mir und ein paar Freunden nach Lake George?‹ Ich war sicher, dass er die Vergnügungsfahrten und die Promenade verglichen mit New York albern finden würde. Aber wir verbrachten eine wunderbare Zeit, und am nächsten Wochenende fuhren wir wieder hin und am übernächsten, und so führte eins zum anderen,
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