Die Bleiche Hand Des Schicksals
entwickelt. Wir konnten uns keinen Luxus leisten, aber ich musste auch nichts Wichtiges entbehren. Und als es so weit war, dass ich das College besuchen konnte, war ich das einzige Mädchen in meiner Klasse, die es tat. Das war vor den Studienkrediten, Stipendien und solchen Dingen.«
»Wo waren Sie?«, fragte Clare und stellte sich eine der staatlichen Universitäten oder ein staatlich unterstütztes College vor.
»Smith. Jahrgang ›47.«
Clare zwinkerte »Gute Uni. Haben Sie während des Studiums gearbeitet?«
»Nein, Mutter hat alles bezahlt.« Sie riskierte einen weiteren Blick zu Clare, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder der Straße zuwandte. »Sie hat nie Geld für sich selbst ausgegeben. Alles was sie hatte, verwendete sie für mich, dann für die Klinik, und der Rest floss bei ihrem Tod in das Treuhandvermögen.«
Clare öffnete den Mund zu der Bemerkung, dass es Jane Ketchem für eine Frau ohne Arbeit und ohne sichtbare Unterstützung nicht allzu schlecht gegangen war, aber Großmutter Fergusson zischte ihr ins Ohr: Nichts ist vulgärer, als über Geld zu reden! Deshalb klappte sie den Mund wieder zu und sah aus dem Fenster, während sie äußerst bedächtig in die Elm Street einbogen.
Am Straßenrand vor dem Haus der Rouses standen mehrere Autos, darunter auch der Pick-up des Polizeichefs, wie Clare ohne Überraschung registrierte. Mrs. Marshall parkte so nah wie möglich am Haus, und Clare jonglierte die Auflaufform aus dem Wagen, während Mrs. Marshall einen Kirschkuchen – »aus dem Laden, fürchte ich« – vom Rücksitz holte.
Diesmal blieb Clare keine Zeit, die reichen Verzierungen und das polierte Messing an der Haustür der Rouses zu bewundern. Im selben Moment, in dem Mrs. Marshall die Stufen betrat, sprang sie auf, und eine kleine birnenförmige Frau mit dem Gesicht eines hausgemachten Knödels erschien. »Lacey Marshall, Vorsicht auf diesen Stufen!«, sagte sie und griff nach dem Kuchen. »Gib mir das. Komm rein. Oh, ist das ein Auflauf? Wie nett. Mittlerweile ist Renee für mehrere Tage versorgt. Was eine große Hilfe sein wird. Obwohl in der Küche herumzupusseln ja manchmal helfen kann, von Problemen abzulenken. Ach! Wer ist das?«
Während dieses Monologs war Clare Mrs. Marshall in die Diele gefolgt, hatte die Auflaufform auf eine Kommode mit Marmorplatte gestellt, die in der Kindheit des Rouseschen Nachwuchses vermutlich Fäustlinge und Mützen enthalten hatte, und ihren Schal abgelegt.
»Yvonne, ich möchte dir Reverend Clare Fergusson vorstellen, unsere Pastorin von St. Alban’s. Clare, dies ist Yvonne Story. Yvonne war Bibliothekarin der Stadtbücherei von Millers Kill, bis sie zu unserem Bedauern in den Ruhestand ging.«
»Oh, ich musste aufhören, um Zeit für die ganzen anderen Dinge zu haben, die ich noch mache. Nicht, dass es mir nicht gefallen hätte, Bibliothekarin zu sein. Alle haben immer gesagt, es sei Vorsehung, eine Bibliothekarin namens Story.« Sie lachte schnaubend über ihren eigenen Witz. »Wie schön, Sie kennenzulernen. Ich hatte schon gehört, dass die Episkopalen einen neuen Pfarrer haben. Ich selbst war Methodistin, aber als Dr. Gannet wegging, ging alles den Bach hinunter. Dieser neue Bursche hat vom Predigen keinen blassen Schimmer. Deshalb habe ich das sinkende Schiff verlassen. Jetzt schaue ich mir diese netten Fernsehprediger an. So viel einfacher, als sonntagmorgens aufzustehen und sich anzuziehen.«
Clare versuchte ein »sehr erfreut« einzuflechten, während Yvonne Story ihre Hand auf und nieder schwenkte, aber es war vergebens. Also lächelte und nickte sie einfach.
»Ist das mit dem armen Allan nicht einfach furchtbar? Ich meine, ich hasse es, das Schlimmste zu vermuten. Aber irgendwie bleibt einem gar nichts anderes übrig, nicht? Arme Renee. Ich hoffe, er hat gut vorgesorgt. Sie musste nie arbeiten, anders als ich. Was wird sie ohne ihn anfangen? Das ist der Nachteil bei einem Ehemann. Deshalb habe ich nie geheiratet.«
Clare spürte, wie ihr Lächeln gefror. Erlöse mich, o Herr, betete sie.
»Yvonne.« Renee Rouse erschien in der Tür zum Wohnzimmer. »Wärst du so lieb und kochst uns noch etwas Kaffee? Und eine Kanne Tee. Ich bin sicher, dass an so einem kalten Tag alle etwas Warmes trinken möchten.«
»Ach. Selbstverständlich, Renee. Und ich bringe den Kuchen für dich in die Küche, Lacey. Hast du ihn im Supermarkt gekauft? Die haben guten Kuchen. Nicht so gut wie selbst gebacken, aber gut.«
»Ich danke dir, Yvonne«, unterbrach
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