Die Bleiche Hand Des Schicksals
sollte die Idee trotzdem überprüfen. Wenn dein Onkel in den nächsten Tagen nicht auftaucht, werde ich an die anderen Polizeistationen entlang der Route 9 kabeln, damit sie nach dem Auto deines Onkels Ausschau halten.« Er wandte sich an Ketchem. »Irgendwelche Jagdhütten, Angelschuppen, irgendein Ort, an den er sich zurückgezogen haben könnte, um« – dem Ganzen ein Ende zu machen? – »allein zu sein?«
Ketchem schüttelte den Kopf. »Nein.«
Harry warf einen Blick auf das zukünftige Restaurantgelände. Ihm gefiel die alte Farm irgendwie besser. Er blickte wieder David Ketchem an, streckte die Hand aus. »Danke für Ihre Hilfe. Falls Ihnen etwas einfällt, rufen Sie mich an. Millers Kill sechs-vier-fünf.«
Ketchem drückte seine Hand etwas zu fest. »Glauben Sie wirklich …«, begann er mit gepresster Stimme, dann gab er sich einen Ruck und ließ Harrys Hand los. »Ich bin sicher, dass er bald wieder auftaucht«, sagte er in normalem Ton. »Und wenn er das tut, werde ich der Erste sein, der ihm in den Hintern tritt, weil er uns solche Sorgen gemacht hat.«
»Ich bin sicher, dass Sie recht haben«, sagte Harry.
Als er von der Tankstelle auf die Straße nach Millers Kill hinausfuhr, sah Harry, dass David Ketchem neben seinen Sohn getreten war. Er beobachtete sie im Rückspiegel, beobachtete ihn, bis sie in der Ferne verschwanden. Ketchem hatte den Arm fest um die Schultern seines Sohnes geschlungen. Er wusste ihn in Sicherheit, daheim.
18 Montag, 20. März, Tag des heiligen Cuthbert, Bischof von Lindisfarne
H aben Sie jemals herausgefunden, was Ihrem Vater zugestoßen ist?« Clare rutschte auf den Beifahrersitz von Mrs. Marshalls Town Car, eifrig darauf bedacht, dass die Geschirrtücher an Ort und Stelle blieben, die ihre Oberschenkel vor der heißen Auflaufform auf ihrem Schoß schützten. Sie hatt darauf gedrängt, zum Teil, weil sie das Bedürfnis hatte, Allan Rouses Frau ihr Mitgefühl und ihre Hilfe anzubieten, und zum Teil, weil sie nicht wusste, ob sie sonst den Rest der Geschichte erfahren, ob Mrs. Marshall sich jemals wieder so offen über ihre Familie äußern würde.
»Nein. Obwohl kein Mangel an Theorien herrschte. Meine Mutter war von seinem Tod überzeugt, auch wenn sie nie darüber spekulierte, ob es ein Unfall oder irgendein Unglücksfall war.« Sie wandte den Blick kurz von der Straße ab, lächelte ein altes Lächeln. »Ich denke, es war für sie leichter, ihn für tot zu halten, als sich vorzustellen, dass er irgendwo anders ein neues Leben ohne uns angefangen hatte.«
»Und Sie?«
»Als junges Mädchen stand ich definitiv auf der Seite meiner Mutter. Ich war sicher, dass er von Landstreichern überfallen worden war und wie ein Löwe gekämpft hatte, bevor sie ihn umbrachten. Später, als Erwachsene …« Sie betätigte den Blinker und bog majestätisch auf die Main Street ab. »Schließlich kam ich zu der Überzeugung, dass er fortgelaufen war. Er war mit Sicherheit nicht der einzige Mann, der während der Depression diesen Weg wählte. Als kleines Mädchen habe ich nicht viel davon bemerkt, aber es waren schwere Zeiten. In dem Jahr, in dem er verschwand, schlossen zwei der vier Banken im Ort. Ich erinnere mich, dass die Damen vom Hilfskomitee anfingen, unsere Schule mit Lunchpaketen zu versorgen, weil einige Kinder nur ein Stück trockenes Brot oder einen Apfel zum Essen hatten. Später erzählte mir meine Großmutter, dass die Lebensversicherung meines Vaters weg war, als er schließlich offiziell für tot erklärt wurde. Die Gesellschaft hatte Bankrott gemacht. Das ist in den Dreißigern viel zu oft passiert.« Die Ampel einen Häuserblock vor ihnen sprang auf Rot, und Mrs. Marshall bremste, verlangsamte die Geschwindigkeit des Wagens von fünfunddreißig Meilen in der Stunde auf fünfundzwanzig und wurde dann so langsam, dass Clare hätte daneben herlaufen können. Clare bemühte sich, sich ihre Ungeduld nicht anmerken zu lassen.
»Wie sind Sie und Ihre Mutter ohne Ihren Vater zurechtgekommen. Hatte Ihre Mutter einen Job?«
Sie wurden noch immer langsamer, als die Ampel bereits auf Grün zurücksprang. »Nein, Mutter hat nie gearbeitet. Natürlich taten das damals nur wenige Frauen. Es gab so viel im Haushalt zu tun, viel mehr als heute, wissen Sie. Es war schwer für sie, aber sie hat es immer geschafft, etwas auf die Seite zu legen. Sie hatte Geld angelegt. Sie und mein Vater hatten Onkel David geholfen, eine Werkstatt aufzumachen, und die hat sich mit der Zeit gut
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