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Die Blendende Klinge

Die Blendende Klinge

Titel: Die Blendende Klinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Weeks
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genau wissen, was zu tun war, ihn aber mit Absicht ermorden wollen. Bei Frauen wusste man nie. Oder es gab zwar einen Alarm, der jedoch nicht mehr funktionstüchtig war. Wie oft sein Bruder wohl überhaupt nach solchen Dingen sah? Nach sechzehn Jahren war er vielleicht unvorsichtig geworden. Vielleicht überprüfte er den Mechanismus einmal im Jahr, aber das Jahr war nun gerade um, und er war noch nicht wieder zurückgekehrt. Verzweiflung machte sich breit. Er musste versuchen, irgendetwas zu unternehmen.
    Beinahe ohne es zu wollen, wandelte er Grün. Es war wie Wärme in einer kalten Nacht. Wie Nahrung für den Verhungernden. Es war wie ein Glas hochprozentigen Alkohols, der, statt brennend seinen Bauch zu wärmen, von seinen Augen bis in alle Extremitäten fuhr und ihn reinwusch von Schwäche und Lähmung.
    Nicht zu viel. Nicht zu viel! Er unterbrach den Luxin-Fluss, bevor er ihn überwältigte. Doch bereits jetzt ließ der Blick auf die Wände eine schreckliche Platzangst in ihm aufsteigen. Seine Finger bogen sich zu Krallen, und auf einmal hing er an der grünen Luxin-Wand und versuchte seine Klauen hineinzuschlagen.
    Hör auf, hör auf, hör auf! Er schleuderte das überschüssige Luxin von den Fingern. Die Stärke, das wusste er, war nur ein falscher Schein. Sein Körper war entsetzlich schwach. Er würde für jede überstürzte Handlung teuer bezahlen müssen. Und Grün war geradezu irrsinnig überstürzt. Er wollte gegen die Wand anstürmen und sie durchbrechen. Wenn er diesem Impuls nachgab, würde er sich bewusstlos schlagen und wahrscheinlich sterben.
    Wofür hatte er überhaupt Grün gewandelt? Er konnte mit grünem Luxin sicher kein Loch in die grüne Luxin-Wand sprengen. So dumm war sein Bruder nicht.
    Orholam, dieser Hunger! Er ließ eine Ranke aus grünem Luxin die Essensrutsche hinaufschießen, weiter, immer weiter. Er schob sie um eine Biegung herum – diese Rutsche war anders geformt als die blaue. Natürlich war sie das, sie musste das Brot ja auch über eine längere Distanz befördern – wie weit wohl? Sagen wir mal … zwanzig, dreißig Schritt weiter. Er strengte sich an, nicht die Geduld zu verlieren, aber Orholam, dort oben war Essen. Er brauchte es! Irgendwo dort oben war Freiheit.
    Er schob seine Luxin-Ranke weiter, langsam, aber nicht annähernd so langsam, wie die Besonnenheit des Blaus ihm riet. Er spürte das Ultraviolett erst, als es einen Schlag tat.
    Etwas schnappte über seinem dünnen Luxin-Finger zu, den er so weit hinaufgeschoben hatte, ließ ihn reißen, zerbrechen, und all seine Willenskraft zerbrach mit ihm. Er verlor das Bewusstsein.
    Am nächsten Tag – falls es überhaupt Tag war – hörte er das Rumoren der Zahnräder in der Rutsche. Er richtete sich erwartungsvoll auf. War es sein Bruder, der kam, um sich an seinem Elend zu weiden, oder Essen, um ihn zu retten?
    Seine Annahmen waren falsch gewesen. Entweder wollte sein Bruder ihn doch töten, oder der Alarm hatte versagt, oder … Er konnte sein Hypothesengebäude jetzt nicht von neuem errichten. Nicht ohne frisches Blau. Er war dumm. Er war ein Tier. Er war ausgezehrt und dünn. Er war gebrochen. Wenn es kein Brot war, was da kam, würde er Grün wandeln. Er würde also Selbstmord begehen. Na und? Was sollte am Leben denn überhaupt so gut sein?
    Etwas kam klappernd die Rutsche herunter.
    Er wartete. Wartete.
    Ein Laib Brot schoss aus der Rutsche, und er fing ihn auf. Er fing ihn auf und konnte es beinahe nicht glauben. Obwohl alles Licht in der Zelle grün war und nur von Grün beleuchtetes Blau unglaublich schwer zu wandeln war, hielt er in der Hand die Erlösung in Form von Farbe. In einer Hölle aus Grün war das Brot blau. Es war blau genug.

42
    Adrasteia war herbestellt worden. Ihre Herrin selbst, Lucretia Verangheti, hatte sie in dieses schäbige Haus im Schatten der Stadtmauer ziemlich weit im Süden von Großjasper kommen lassen. Keine angenehme Gegend.
    Ein bleicher, brummelnder Mann öffnete die Tür und führte Adrasteia zu einer Nische. Er brachte Tee. Nur eine Tasse. Die er nicht vor sie hinstellte.
    Zehn Minuten später betrat eine Frau, die Adrasteia unbekannt war, den Raum. Sie war jung und eine Ruthgari, mit dem inzwischen verschwindend seltenen echten blonden Haar und blauen Augen. Es hätte sie zu einer exotischen Schönheit gemacht, wäre da nicht außerdem ihr langes Pferdegesicht gewesen. Sie trug ein schön geschnittenes legeres Kleid und hatte sich nur mit einigen wenigen Juwelen

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