Die Blendende Klinge
er so todernst vortrug, dass man sich nicht sicher sein konnte, ob er nun fromm und alt war oder sich über sie alle lustig machte: »Wir fallen vor Dir zu Boden, oh Herr. Möge unser Dünkel in der Hitze Deiner Herrlichkeit verdorren, möge unsere Vermessenheit dahinschwinden im Lichte Deiner Wahrheit. Mögest Du uns Klarheit in unserem Ratschluss, Unsichtbarkeit in der Verdunklung, Schärfe der Augen in der Stunde des Handelns schenken. So bitten wir Dich aus den Tiefen unserer Nichtswürdigkeit. Mögen unsere Jungen sich den Alten beugen und unsere Alten dem Grab. Mögen unsere Mühen gedeihen unter Deinem Angesicht, in Frieden und Wahrheit und schwerer Prüfung.«
Schrulliger alter Bastard.
»So sei es«, beschloss Andross sein Gebet.
Sie alle machten das Zeichen der Vier und der Drei. »So möge es sein«, murmelten sie.
Die Weiße sah Andross wütend an. Doch ihr tödlicher Blick vermochte bei einem Blinden nichts auszurichten.
»Gavin«, sagte sie, »Eure Versammlung hat begonnen.« Ihr wollt den Wind säen …? , fragte sie Andross.
Seines Vaters Hass und Verachtung gegenüber der Weißen hatten die Weiße gegen ihn aufgebracht. Den Vorsitz zu haben war ein Riesenvorteil, groß genug, um Gavin eine reelle Chance zu geben. Er holte tief Luft. »Ganz offensichtlich haben sich in der Zeit, da ich fort war, ein paar Sachverhalte verändert.« Er fixierte Tisis Grün. »Für uns alle.«
»Ich bin rechtmäßig zum Mitglied dieses Gremiums ernannt worden …«, fuhr Tisis empört auf.
»Tisis!«, herrschte die Weiße sie an. »Gavin hat den Vorsitz. Alle Farben haben im Laufe der Versammlung das Recht, zu reden und vollständig angehört zu werden, aber Unterbrechungen werden hier nicht hingenommen.«
»Als ich mich das letzte Mal mit Euch traf, habe ich Euch, wie Euch zweifellos allen bewusst ist …«, begann Gavin, als hätte es Unterbrechung und Gegen-Unterbrechung gar nicht gegeben, »das heißt jedenfalls denen, die damals zugegen waren – und diejenigen, die es nicht waren, haben zweifellos in gewissenhafter Befolgung ihrer Pflicht das Sitzungsprotokoll sorgfältig durchgelesen …« Mit anderen Worten: Wenn du nicht weißt, wovon ich rede, bist du faul und lausig in der Erfüllung deiner Aufgabe, Tisis. Gavin hegte keinerlei Zweifel, dass sein Vater das Protokoll der letzten Versammlung auswendig gelernt hatte. Schließlich hatte er sein eigenes gutes Gedächtnis von dem Alten geerbt. Er begann von neuem: »Als ich mich also das letzte Mal mit Euch traf, habe ich Euch gewarnt und Euch mitgeteilt, dass König Garadul eine Rebellion begonnen habe und zweifellos Garriston angreifen werde. Ich drängte uns, einen Krieg zu verhindern, allerdings auf eine Art, die sich als zu unangenehm erwiesen hat, um die Billigung dieses Rates zu finden. Dieses erlauchte Gremium wies meinen Vorschlag zurück, und die Folge war in der Tat Krieg.«
Klytos hob einen Zeigefinger, bat um das Recht, sich zu Wort zu melden. Gavin streckte seine Hand aus und bewegte sie dann nach unten, wie um das Problem wegzuwischen. »Ich bin nicht gekommen, um alte Debatten neu auszufechten. Ich verstehe, dass es beste Gründe dafür gab, in der Frage, was König Garadul vorhatte und zu tun in der Lage sein könnte, skeptisch zu sein. Ich habe keinerlei Absicht, mich mit der Vergangenheit aufzuhalten.« Ich will Euch nur daran erinnern, dass ich recht hatte. »Ich fasse lediglich das Wichtigste zusammen – für jene von Euch, denen die Feinheiten des Protokolls womöglich entgangen sein könnten.« Er fasste Tisis scharf ins Auge, als sei die letzte Bemerkung direkt an sie gerichtet, und tatsächlich, ihr Gesicht lief rot an.
In Wirklichkeit richtete sich seine Zusammenfassung an alle anderen, diente dazu, die Unterredung von damals seinen eigenen Absichten anzupassen. Nach dem Motto »Wer die Vergangenheit beherrscht« und so weiter. Gavin konnte das alles tun, während sein Gehirn, der Kapitän, die Steuerung des Schiffes sozusagen an den Bootsmann abgab. Seine Gedanken arbeiteten auf Hochtouren. Bei Orholam, Lunna. Nach all der Arbeit, die ich in sie hineingesteckt habe.
Andross Guile befeuchtete sich die Lippen. Er schien auf eine perverse Weise sogar stolz auf seinen Sohn.
Was nicht bedeutete, dass er ihm nicht sofort den Boden unter den Füßen wegziehen würde, sobald sich eine Gelegenheit dazu ergab.
Kurz schoss Gavin ein Gedanke durch den Kopf. Was, wenn Lunna Grün ermordet worden war – aber nicht vom Orden? Was,
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