Die Blendende Klinge
und die Zielperson öffnet unwillkürlich die Hände, um den Schlag abzuwehren. Dann verbiegst du ihr schnell die Finger, und sie fällt zu Boden. Jetzt habt ihr so viel Hebel, wie ihr euch wünschen könnt. Weniger Gewicht und weniger Körperkraft heißt einfach, dass ihr cleverer sein müsst.«
»Fein gemacht, Wachhauptfrau. Ich habe diesen Griff seit Jahren nicht mehr gesehen. Ich befürchte, dass der selbst bei mir funktioniert hätte«, sagte Ausbilder Fisk.
»Hm, vielleicht«, erwiderte Karris und lächelte. »Auch wenn ich nicht begierig darauf bin, unseren letzten Kampf zu wiederholen.«
Er zuckte mit den Schultern. »Mildernde Umstände«, sagte er leichthin. »Ihr wart müde. Nicht vielen gelingt es, fünf Kampfmarken einzusammeln.«
»Kann ich mir für heute Nachmittag einen von Euren Schülern ausleihen?«, fragte Karris. »Ich mache mein privates Auffrischungstraining.«
»Aber natürlich.«
Karris sah sich in der Runde um. Schließlich zeigte sie auf Teia. »Du da, du bist genau die Richtige.«
Aus irgendeinem Grund war sich Teia sicher, nicht zufällig ausgewählt worden zu sein. Aber an jenem Abend trainierte Karris einfach nur. Von ihren Anweisungen einmal abgesehen, sprach sie kein Wort.
»Entschuldigt bitte, Wachhauptfrau«, sagte Teia schließlich. »Aber warum trainiert Ihr eigentlich mit mir? Ich kann den meisten der Kämpfer, mit denen Ihr jeden Tag arbeitet, nicht das Wasser reichen.«
Karris antwortete: »Manchmal ist es gut, gegen Leute zu kämpfen, die nicht wissen, was sie tun. Es erinnert dich daran, wie die meisten deiner Gegner im wirklichen Leben um sich schlagen. Sie sind weniger berechenbar.«
Oh. Na ja, dann …
Keiner von ihnen sagte noch etwas.
76
Gavin hatte die tiefe Wirkung, die sein Vater auf andere ausübte, fast vergessen. Andross Guile hatte vor fast einem Jahrzehnt damit begonnen, sich zunehmend zurückzuziehen. Die meisten Menschen verlieren durch ihre Abwesenheit an Bedeutung. Andross hingegen war in den Köpfen der Menschen, in ihrer Furcht, noch gewachsen. Er wurde zur fetten, aufgeblähten Spinne in der Mitte ihres Netzes. Und nun, da er schwach und fast blind zurückkehrte, war er irgendwie noch immer ein Titan. Er war alt. Wandler wurden nie alt. Alt zu werden bedeutete, dass man das Unmögliche vollbracht hatte. Die beiläufigen Zerstörungen des Alters – die welke, durchscheinende Haut, die Leberflecken, die Gebrechlichkeit – waren zu Ehrenabzeichen geworden, zum Beweis gottgleicher Willensstärke, Selbstdisziplin, Kraft.
Mit der Hilfe seines Sklaven Grinwoody, der ihm wie ein Schoßhund ergeben war, setzte sich Andross Guile. Er schenkte den Begrüßungen der anderen Farben keine Beachtung und starrte in Richtung der Weißen, die als Einzige völlig ungerührt schien.
Nun gut, wenn die Anwesenheit von Andross Guile alle anderen im Raum gegen Gavins Vorschlag einnahm, würde sie zumindest die Weiße in seinem Sinn beeinflussen. Doch auch wenn sie instinktiv dazu neigen würde, gegen alles zu stimmen, was Andross wollte, würde sie sich dadurch nicht davon abbringen lassen, ihr Hauptaugenmerk darauf zu richten, was gut und richtig und das Beste für die Sieben Satrapien und die Chromeria war. Nicht einmal auf sie konnte er zählen.
Gavin blickte zu seinem Vater hinüber und bemühte sich dabei, sich nicht anmerken zu lassen, wie wütend er war. Da saß dieser Dreckskerl und sonnte sich in seiner eigenen Vortrefflichkeit. Gesetze und Regeln galten nicht für Andross Guile. Er stand über ihnen. Die Welt beugte sich seinem Willen. Lächerlich.
Gavin lachte leise.
»Was ist denn so lustig, Lord Prisma?«, fragte Tisis Malargos.
»Ich hatte gerade eine kleine persönliche Erleuchtung.« Er lächelte nachsichtig und sagte sonst nichts mehr, nur um sie in Rage zu bringen. Du spielst jetzt in einer anderen Liga, Tisis, hier werden die groben Geschütze aufgefahren. Bist du dir sicher, dass du dafür bereit bist?
»Und die wäre?«, bohrte sie nach, und die Unaufrichtigkeit sabberte ihr förmlich übers Kinn.
»Mir ist jetzt klarer, warum Ihr mich nicht mögt. Aber es ist der falsche Grund, mich nicht zu mögen.«
»Vielleicht sollten wir jetzt anfangen«, warf die Weiße schnell dazwischen. Immer die Friedenswächterin, wenn auch nicht immer die Friedensstifterin. »Andross, es ist schön, Euch zu sehen. Es ist schon allzu lange her. Möchtet Ihr die Anrufung leiten?«
»Nein«, blaffte der alte Mann. Er führte das nicht weiter aus, suchte
Weitere Kostenlose Bücher