Die Blendende Klinge
nur ein weiterer Angriff auf eine Familie gewesen, die schon tausend derartige Angriffe überstanden hat, die kleine Episode einer versuchten Verleumdung eines hochstehenden Hauses.«
»Ihr meint Mistress Helel? Ihr habt diese fette Frau geschickt, die damals versucht hat, mich vom Turm zu werfen?«, fragte Kip. Andross sprach weiter, aber Kip hatte noch immer reichlich damit zu tun, mit dem bisher Gesagten klarzukommen.
»War das ihr Name, ja? Oh, und wo ich schon dabei bin, reinen Tisch zu machen … ich habe diese Schwachköpfe in deinem Schwarzgardisten-Übungskurs dafür bezahlt, dich aus dem Rennen zu werfen. Nichts für ungut, nichts passiert, nicht wahr? Trotzdem: Es tut mir leid.«
»Es tut Euch leid ?«, wiederholte Kip ungläubig. So als wäre es damit getan?
Kip sah, wie sich eine Augenbraue über eines der großen Brillengläser emporwölbte, als wundere sich der Mann, wie dumm dieser dickliche Knabe doch sei. Andross Guile hob seinen Zeigefinger. »Du sollst wissen, Kip, ich habe mich seit zwanzig Jahren bei niemandem entschuldigt.«
»Ich fühle mich geehrt«, sagte Kip.
Der alte Mann entschloss sich, über Kips Sarkasmus hinwegzusehen. »Nun, jetzt, wo wir das hinter uns haben, möchtest du vielleicht ein wenig Neun Könige spielen?«
»Wie bitte? Was? Nein! Ihr habt versucht, mich umzubringen! Ihr könnt doch – Ihr könnt doch nicht einfach Leute umzubringen versuchen, bloß weil sie Euch ungelegen kommen.«
Andross Guile legte den Kopf zur Seite wie ein Hund, während er versuchte, diesen allzu seltsamen Jungen zu verstehen. »Die Wirklichkeit ist da anderer Ansicht als du.«
Aber für Kip schien plötzlich die ganze Welt grau zu werden. »Das ist doch alles nur eine Tarnung. Ablenkung. Ihr habt Lucia umgebracht«, sagte er. Kip sah sie wieder, wie sie in die Schusslinie trat. Er sah ihr Gesicht voller Blut, den Hals von einer Musketenkugel aufgerissen, Blut, Blut, Blut. Kip erschauderte.
»Wen?«, fragte Andross.
»Das Mädchen in meinem Schwarzgardistenkurs, das die Kugel abbekommen hat, die Ihr für mich bestimmt hattet!«
»Worüber redest du da?«
Kips aufwallender Zorn geriet ins Stocken. »Jemand hat versucht, mich zu erschießen, beim Training. Stattdessen wurde sie umgebracht.«
Der Alte schüttelte den Kopf, als wäre Kip ein Volltrottel. »Warum hätte ich all die Mühen und Ausgaben auf mich nehmen sollen, dich bei der Schwarzen Garde aus dem Rennen zu werfen, wenn ich vorgehabt hätte, dich umzubringen, bevor du überhaupt die Gelegenheit dazu gehabt hättest? Ich wollte aus dir einen Versager machen, keinen Leichnam.«
»Vielleicht wolltet Ihr nur auf Nummer sicher gehen. Doppelt hält besser.«
»Es ist ja nett, dass du eine so hohe Meinung von dir selbst hast, aber streng doch mal dein kümmerliches kleines Gehirn an. All die Beschuldigungen. Schon wieder! Wenn du umgebracht worden wärst, hätte es eine Untersuchung gegeben. Die Jungen, die sich einverstanden erklärt hatten, dich nicht in die Schwarzen Garde kommen zu lassen, hätten sich gemeldet und ihre Aussage gemacht. Schließlich ist es eine Sache, jemanden durchfallen zu lassen, so dass er das nächste Mal neu antreten muss, aber es ist eine völlig andere, ihn umzubringen. Man fängt an, Leute zu töten, und plötzlich melden sich Gewissensbisse. Glaubst du, ich würde bei so etwas mein Erkennungszeichen zurücklassen, damit es auch ja jeder sehen kann? Glaubst du, ich würde zweimal auf die gleiche Weise scheitern? Nein, mein Junge, glaub mir, wenn ich dich tot haben wollte, dann wärst du das auch.«
So beleidigend es auch war, Kip vermutete, dass es wahrscheinlich der Wahrheit entsprach. »Warum also habt Ihr versucht, mir den Zugang zur Schwarzen Garde zu verbauen?«
»Um die Pläne meines Sohns zu durchkreuzen. Er hat etwas mit dir vor, und er widersetzt sich mir. Er musste bestraft und an bestimmte … Wahrheiten erinnert werden.«
»Und wieso erzählt Ihr mir das gerade jetzt? Was wollt Ihr denn?« Kip hatte keinerlei Zweifel, dass der abscheuliche alte Mann irgendeinen Plan verfolgte. Er wollte etwas von Kip. »Ich könnte berichten, dass …«
»Berichten? Wem? Bitte.« Andross Guile machte eine wegwerfende Handbewegung, und Kip wurde klar, dass der Mann ihm beichten konnte, ohne dafür belangt zu werden. Er hatte recht. Niemand würde Kip Glauben schenken, schon gar nicht, wenn er nicht den geringsten Beweis vorzulegen hatte. »Kip, ich muss dir etwas sagen, und ich erwarte nicht, dass du
Weitere Kostenlose Bücher