Die Blendende Klinge
konnte der andere Parylwandler ihn nicht übersehen. Und das würde ihn vielleicht auf Teias Fährte setzen, so dass nun sie die Gejagte wurde.
Teia setzte sich in Bewegung, bevor sie überhaupt wusste, was sie tun würde. Wenn sie einen Fehler hatte, so war es gewiss nicht die Tatenlosigkeit.
Sie ließ selbst, so kurz wie möglich, einen Strahl ultrafeinen Lichts hinauspulsen. Das Gute an Paryl war, dass man es schneller wandeln konnte als jede andere Farbe, und es war überall, selbst wenn der Tag noch so trübe war, so dass es selten ein Problem darstellte, dafür eine Quelle zu finden. Selbst bei Nacht umgab es einen schwach, solange man sich im Freien befand. Ihr gezielter Paryl-Strom durchdrang die Kleidung ihrer Zielperson und ließ deren Kleidungsstücke wie im Wind zitternde Schatten aussehen.
Aus lang geschulter Erfahrung vermochte Teia die verschwommenen Umrisse aller Metallgegenstände auszumachen, die er bei sich trug. Schwert, Messer, Gürtelschnalle, in seinen Gürtel eingearbeitetes Silber, die schmalen Kettenglieder, mit denen er seine Geldbörse am Gürtel befestigt hatte (er hatte also Angst, ausgeraubt zu werden), die Münzen in der Börse, die Goldspitzen der Tresse an seinem Hemd, seine Halskette, seine Mantelkette und das Goldgarn, das in den Besatz seines Mantels eingearbeitet war, einen Ohrring und – endlich! – eine Schnupftabaksdose in der Brusttasche seines Mantels.
Es war keine Herausforderung, aus dieser Tasche etwas zu stehlen. Sie überquerte die Straße. Im letzten Moment blickte sie sich um, um es ganz überzeugend erscheinen zu lassen, dass ihr Zusammenstoß mit dem Mann ein Zufall war.
Ein Fehler. Sie sah, dass einer der Männer am Springbrunnen – schlank, hässlich, eine von einem Kranz roter Haare umgebene Glatze, Handwerkerkleidung – die Hände vor sich zusammenlegte. Eine Nadel aus Paryl-Luxin schoss aus seinen Händen hervor und bohrte sich der Frau, die er aus einer Entfernung von zwanzig Schritt beobachtete, seitlich in den Hals. Ein erstaunlicher Treffer durch all das Gedränge von Leibern und vorbeirollenden Karren. Das Luxin blieb in der Luft hängen, spannte sich zwischen seinen Händen auf der einen Seite und dem Hals der Frau auf der anderen. Der Mann beugte sich konzentriert nach vorn.
Ein Fußgänger ging durch den Spinnenseidenfaden und zerriss ihn, aber der Mann blieb ungerührt. Er ließ das Paryl los und verschwand, ohne zurückzublicken.
Teia erhaschte einen kurzen Blick auf die Frau, die sich für einen Moment stirnrunzelnd den Hals rieb und ihre Augen dann wieder einer Melone in dem Karren vor ihr zuwandte.
Da prallte jemand mit Teia zusammen. Sie wäre der Länge nach hingefallen, aber eine starke Hand hielt sie am Arm fest.
»Pass auf, wo du hintrittst, Süße«, sagte ihre Zielperson. Der Mann umfasste mit einer Hand ihren Hintern und drückte ihn, während er ihr half, ihr Gleichgewicht wiederzuerlangen.
»Oh … ich …« Teia brauchte ihre Verwirrung nicht zu heucheln. In ihren hohen Schuhen kostete es sie etwas mehr Anstrengung, das Gleichgewicht wiederzufinden, und um ihr geistiges Gleichgewicht wiederzuerlangen, brauchte sie sogar noch etwas länger.
»Ich bin nachher im Gasthaus zur Roten Sechs zu finden, falls du Lust auf ein wenig Unterhaltung hast, meine Schöne«, sagte der Mann. Seine Hand lag noch immer auf ihrem Hintern.
Sie schlug seine Finger weg. »Nein, vielen Dank , mein Herr. Entschuldigt mich bitte.«
Er lachte und versuchte es nicht noch einmal. »Denk darüber nach«, sagte er. »Ich werde dir eine bessere Nacht bereiten, als dein Ehemann es könnte.«
Sie senkte scheu den Kopf, ging davon und fühlte sich regelrecht vergewaltigt. Sie hätte schwören können, dass sie noch immer seine Hand auf ihrem Hintern spürte. Am liebsten hätte sie ihm dafür, dass er sie begrapscht hatte, in sein grinsendes Gesicht geschlagen.
Stattdessen begnügte sie sich damit, die Schnupftabaksdose in ihre Tasche fallen zu lassen. Er hatte sie überrascht, aber Teia hatte sich rasch wieder gefangen.
Während er davonging, drehte sie sich um und wandelte, riss ihm das Leuchtsignal vom Kopf. Wenn sie vernünftig sein wollte, musste sie jetzt zusehen, dass sie schleunigst von hier verschwand, aber sie konnte es sich nicht verkneifen, sich noch einmal nach der Frau umzusehen.
Es war nicht schwer, sie zu entdecken. Auf ihrem Kopf schimmerte noch immer ihr Leuchtsignal, obwohl es sich nun bereits auflöste, und ihre Haut war bleich
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