Die Blendende Klinge
Frau befand sich vielleicht fünfzig Schritt vor Teia und hatte es nicht besonders eilig; sie bummelte an den Verkaufsständen entlang dem Zentrum des Marktes entgegen. Gerade dieses Trödeln machte es Teia fast unmöglich, den anderen Wandler zu finden. Würde die Frau zielstrebig in eine Richtung steuern, wäre die Zahl möglicher Verfolger auf diejenigen begrenzt, die ungefähr im gleichen Tempo in dieselbe Richtung gingen. Solange die Frau gemütlich die Stände entlangbummelte und dabei unmöglich zu verlieren war, weil sie ein Leuchtsignal auf dem Kopf trug, konnte ihr Verfolger – jemand, der ihr nachspionierte? – sich ganz darauf konzentrieren, mit der wogenden Menge zu verschmelzen.
Um Unauffälligkeit bemüht, umrundete Teia die Frau, so dass sie sie besser ins Auge fassen konnte. Gerade plauderte sie mit einem Kleiderverkäufer und deutete auf einen leuchtend grün und schwarz karierten Seidenschal. Sie war zierlich, hatte ein herzförmiges Gesicht und krauses Haar, trug große Ohrringe sowie ein geschmackvolles hellblaues Kleid. Sie war vielleicht Ende dreißig und durchaus attraktiv.
Nichts wies darauf hin, warum irgendjemand ihr folgen sollte.
Die Sache geht mich nichts an. Ich sollte zusehen, dass ich schleunigst hier wegkomme.
Aber Adrasteia konnte nicht anders. Ihre Mutter hatte immer gesagt, sie sei der Typ Mädchen, der sich zweimal die Hand am Herd verbrennen müsse, um sich davon zu überzeugen, dass er heiß war.
Ein Verkäufer, der glasierte Tonkrüge feilbot, auf die mit grellbunten Farben grimmige Raubtiere gemalt waren, kam auf Teia zu. »Ah, die Dame hat einen hervorragenden Geschmack«, sagte er.
Sie lächelte neutral. »Ich schaue mich nur um, vielen Dank.«
»Wenn Ihr nach etwas Bestimmtem sucht …«
»Dann werde ich es Euch schon wissen lassen«, erwiderte sie brüsk. Sie war ein wenig von sich selbst überrascht. Im echten Leben wäre sie nicht so unhöflich gewesen, aber ihre Verkleidung wirkte seltsam befreiend.
»Na schön«, sagte der Händler und bedachte sie mit einem falschen Lächeln. Er wandte sich ab und verfluchte sie leise, aber doch gerade laut genug, dass sie es hören konnte.
Sie hatte wichtigere Sorgen, aber es ließ sie trotzdem erröten. Was für ein …
Beinahe hätte sie es übersehen. Ein schnelles Pulsieren, eine Welle, die aus der Nähe des Springbrunnens aufstieg. Sie suchte nach ihrer Quelle, konnte den Kreis der Verdächtigen aber nur auf drei Männer einschränken, die am Brunnen standen und alle zu der hübschen Frau hinüberschauten.
Teia kannte dieses Pulsieren. Sie hatte selbst schon Gebrauch davon gemacht. Letztlich war das der einzige Grund, warum sie überhaupt eine Chance hatte, in die Schwarze Garde aufgenommen zu werden. Das Besondere an Paryl, was es allen anderen Farben gegenüber auszeichnete, war, dass es direkt durch die Kleidung ging. Mit einer Paryl-Fackel konnte man genau sehen, wo ein Mensch etwas aus Metall am Körper trug. Wenn jemand unter seinem Überrock ein verborgenes Kettenhemd anhatte oder einen versteckten Dolch am Oberschenkel befestigt trug, waren diese Gegenstände für Teia nicht versteckt. Das und die Möglichkeit, Dinge oder Menschen mit Leuchtsignalen zu kennzeichnen, die für alle anderen unsichtbar waren, schien die einzige praktische Verwendung von Teias Farbe zu sein. Genau aus diesem Grund hatte ein Buch auch in Abrede gestellt, dass Paryl überhaupt eine echte Farbe war, und es als »einzigartig flüchtig und einzigartig nutzlos« bezeichnet.
Wenn man auf der Jagd ist, passiert es leicht, dass man nicht nach rechts und nicht nach links schaut, und zu Hause in Odess hatten Teias Lehrmeister in der Kampfkunst sie etliche Male dafür geschlagen, dass ihr dieser Fehler unterlaufen war. Also versuchte sie, tief durchzuatmen und ihre Umgebung nicht aus dem Blick zu verlieren. Die intensive Konzentration auf nur einen Punkt kann einen verraten oder dazu verleiten, Fehler zu machen.
Als sie durch den Trubel der Menschen – Händler aus allen Satrapien, Sklaven, Luxiaten, Bettler und Edelleute – die Hauptstraße des Marktes hinabblickte, sah Teia das Letzte, was sie jetzt gerade sehen wollte. Ihre eigene Zielperson – für Lucretia Verangheti – kam direkt auf sie zu. Schlimmer noch, die von dem Mann eingeschlagene Richtung würde ihn unmittelbar zu dem anderen Paryl-Wandler hinführen. Der Mann trug das vertraute Leuchtsignal aus Paryl ins Haar gewoben. Wenn er damit die Straße hinunterging,
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