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Die Blendende Klinge

Die Blendende Klinge

Titel: Die Blendende Klinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Weeks
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worden waren, über der sich natürlich ein kompletter Turm befand, so dass kein direktes Licht von oben hereinfallen konnte. Also übernahmen die Spiegel die Aufgabe, Orholams Licht auf sein Volk scheinen zu lassen.
    Es folgte weiterer Gesang und dann eine Prozession von blaugewandeten Männern und Frauen, von denen einige Weihrauchfässer schwenkten. Kip beobachtete, wie Klytos Blau in einem Seidentalar, der in einem kräftigen Blau leuchtete, und mit einem seltsamen blauen Käppchen auf dem Kopf nur wenige Schritte entfernt an ihm vorbeiging. Der Mann wirkte, als fühle er sich nicht wohl in seiner Haut und wäre am liebsten ganz weit weg.
    Kip mochte ihn nicht.
    Orholam, siebzig Wege? Kip konnte sich eigentlich nur zwei richtig vorstellen.
    Wen konnte er nach etwas Derartigem fragen? Sie würden ihn auslachen wie einen Bauerntölpel.
    Es wurde hingekniet und gebetet und vorgelesen, und Antworten drangen aus fünftausend Kehlen. Kip bewegte den Mund und tat so, als verstünde er, was hier vor sich ging. Seine Mutter hatte niemals Zeit für Luxiaten gehabt. Sie hatte Orholams Gericht gefürchtet und meistens gesagt, dass man, wenn man nur immer schön den Kopf gesenkt hielt, vielleicht seinem verdienten Zorn entging.
    Dann trat Klytos Blau ans Pult und begann so leise zu sprechen, dass ihn wahrscheinlich nicht einmal die Leute in der ersten Reihe verstehen konnten. Er wirkte so unbeholfen und scheu, dass Kip eine Welle grausamen Mitleids mit diesem Mann durchwogte. Einer der Luxiaten näherte sich ihm leise und flüsterte ihm etwas zu.
    Klytos hob die Stimme zu einem Murmeln. »Unter dem Auge von … dieser neunundvierzigste Tag …«
    Kip bemerkte, wie der Luxiat einen anderen Luxiaten ansah und sie mit Blicken miteinander Zwiesprache hielten. Der andere Luxiat stand auf und flüsterte Klytos Blau etwas zu, der dem Mann eine scharfe Erwiderung gab, dann errötete und sich wieder seinen Papieren zuwandte.
    »Wie ich gerade sagte«, fuhr Klytos mit schriller Stimme fort und sprach endlich laut genug, dass selbst die Menschen im hinteren Teil des Raums ihn verstehen konnten. Ein dünnes, höhnisches Lächeln umspielte seine Lippen. »Es ist Teil der Arbeit der Chromeria, die neuesten Erkenntnisse der Gelehrten bis hinein in die hintersten und borniertesten Winkel unserer Welt zu verbreiten. Vor nicht allzu langer Zeit galt es noch als Ketzerei, von unserer Welt zu sprechen, als sei sie etwas anderes als ein ausgerolltes Pergament. Die Menschen glaubten, dass die Welt tatsächlich Ecken und Winkel habe – und vor allem Luxiaten glaubten das. Dank der Blauen und der blauen Tugenden wissen wir jetzt, dass dies Aberglaube ist und auch im Widerspruch zu den Schriften steht, die ja nur in einem metaphorischen Sinne davon sprechen, dass die Satrapien der Mittelpunkt sind. Das Zentrum von Orholams Willen ist eine metaphorische Bestimmung, keine räumliche.«
    Kip hatte keine Ahnung, wovon er sprach, aber einige der Luxiaten schienen nicht sonderlich erfreut über diese Formulierungen zu sein. Kip vermutete, dass, falls Klytos die Stimme wieder senkte, keiner von ihnen ihn erneut auffordern würde, sie abermals zu heben.
    »In den letzten Jahren haben unsere Standesgenossen im Turm der Vernunft einige aufregende Studien zum Großen Schisma vorgelegt sowie zu den Ereignissen, wie sie aus der Deimachia gefolgt sind, dem Krieg der Götter – was man, wie sich die meisten Gelehrten inzwischen einig sind, allerdings besser mit ›Krieg gegen die Götter‹ übersetzt. ›Dei‹ ist natürlich der Ablativ, auch wenn es in den meisten der uns vorliegenden Übersetzungen einfach nicht genügend kontextuelle Belege gibt, um den Begriff ›Krieg der Götter‹, wie er sich allgemein durchgesetzt hat, grundsätzlich für falsch zu erklären. Doch in Über die Grundlagen der Vernunft zeigt Tristaem auf, wie sich mit nur einigen wenigen Neuinterpretationen der alten parianischen Grammatik unsere gesamte Hermeneutik wandelt. Und ebenjene neuen Interpretationen sind gegenwärtig in Arbeit.«
    Kips Augen fingen an glasig zu werden. Es gab einfach zu viele Worte, die er nicht verstand. Selbst wenn er sich wirklich für Grammatik interessiert hätte, hätte er den Ausführungen des Mannes beim besten Willen nicht zu folgen vermocht. Er verlor völlig den Faden und begann sich stattdessen im Raum umzublicken. Eine alte Luxiatin in ihrem zerknitterten schwarzen Talar sah aus, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. Mehrere der älteren

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