Die Blüte des Eukalyptus
erlaubt, sich von dem zu ernähren, was das Land hergab. Doch nach gaujo -Recht hatte sich das Tier auf dem Grundstück eines Bauern befunden, und ein Richter hatte Gabriel wegen Diebstahls verurteilt. Ins Gefängnis zu kommen galt als Ehre für ihr Volk. Doch innerhalb weniger Monate hatte ihre Mutter das schlimmste Tabu der Roma gebrochen: Sie betrog ihren Mann, während er seine Strafe in Sturaban absaß.
Gabriel war als gebrochener Mann aus dem Gefängnis zurückgekehrt. Keziah durchlebte im Geiste noch einmal das Grauen jenes Augenblicks, als sie sah, wie er sein Messer am Rand des Rads wetzte, mit dem er sonst die Scheren und Messer der Dorfbewohner
schärfte. Dann hatte er damit auf die Tätowierung auf seinem Arm eingeschlagen, bis das Blut ihren Namen bedeckte – Stella.
Nie wieder sprach er ihren Namen aus.
Als Keziah endlich einschlief, verfolgte sie das lächelnde Gesicht ihrer blutjungen Mutter, selbst als Keziah sie verfluchte. Soll der Teufel in deine Eingeweide fahren!
Das Erste, was Keziah beim Aufwachen sah, waren die Fesseln eines kastanienbraunen Wallachs auf der anderen Seite der Hecke. Der Reiter war ihrem Blick entzogen, bis auf die schlammverkrusteten Reitstiefel.
»Ja, was haben wir denn da? Ein hübsches kleines Straßenkind. Du hast dich wohl verirrt, was, Mädchen?«
Keziah sprang auf. Der Reiter war ein selbstbewusster, junger Mann in zerrissener, dreckiger Reitkleidung von erstklassiger Qualität. Seine hohe Stirn und das kurze Haar erinnerten sie an einen römischen Kaiser auf einer alten Münze. Er hatte einen sinnlichen Mund, doch sein Gesicht war aufgeschürft und schmutzig.
»Ganz im Gegenteil«, antwortete sie entschieden. »Ich weiß genau, wo ich hinwill: nach Liverpool. Auf ein Schiff mit Kurs auf Botany Bay.«
»Da hast du aber noch eine Menge Meilen vor dir, Kleines. Schwing dich hinter mich aufs Pferd, dann geht es schneller.«
»Vielen Dank, aber ich gehe lieber zu Fuß.« Keziah schüttelte die Zweige vom Rock, drehte ihm den Rücken zu und stapfte eilig davon.
Der Reiter sprang von seinem Pferd und führte es ein paar Schritte hinter ihr her.
»Ich kann dich bis zum Haus meines Herrn mitnehmen. Die Haushälterin wird dir eine gute Mahlzeit vorsetzen, bevor du weiterziehst. «
Keziah spürte, wie ihre Wangen brannten. Roma-Stolz überstieg den Horizont der gaujo .
»Sie meinen es gut, Sir, aber ich bin nicht mittellos und brauche keine Almosen. Ich kann für mich aufkommen.«
»Aber sicher. Ich erkenne eine Dame auf den ersten Blick«, entgegnete der Reiter höflich. »Hast du etwas dagegen, wenn ich dich ein Stück begleite? Ich brauche ein paar freundliche Worte, ehe ich mich dem Zorn meines Masters aussetze. Sein Lieblingspferd hat schlechte Manieren und hat mich abgeworfen.«
Keziah ließ sich nicht täuschen; dieser Mann war nicht der Stallknecht, für den er sich ausgab. Sein arrogantes Verhalten und seine kultivierte Sprechweise entlarvten ihn eindeutig als Edelmann. Hielt er Roma-Frauen etwa für derart leichtgläubig?
»Ganz bestimmt wird Ihr Vater Ihnen verzeihen, wenn er weiß, dass das Pferd Schmerzen hatte.«
Der angebliche Stallknecht lachte kurz auf, als wäre er belustigt, bei einer Lüge ertappt worden zu sein.
Keziah kniete neben dem Pferd nieder und strich ihm über die Fesseln. »Dachte ich mir. Ein Bienenstich.«
Wohl wissend, dass der junge Mann sie aufmerksam beobachtete, zog sie den Stachel heraus und spuckte dann auf die Wunde, um sie zu säubern. In der Nähe fand sie wilden Beinwell und wickelte mithilfe ihres Kopftuchs einige Blätter davon um die Fessel des Pferdes.
»Donnerwetter, das war eine Meisterleistung! Du hast das Pferd meines Vaters versorgt und mir obendrein die perfekte Erklärung geliefert. Darf ich fragen, wie du heißt? Mein Name ist Caleb Morgan.« Er verbeugte sich leicht.
»Keziah Stanley. Mein Vater war der beste Geiger in Wales und den Northern Counties.«
Misstrauisch ließ sie sich von ihm über Pferde ausfragen. Instinktiv spürte sie, dass hinter seinen diskreten Blicken mehr steckte.
Keziah machte sich keine Illusionen, was ihr Aussehen betraf. Es war nützlich, um ihr Zutritt zu feinen Häusern zu verschaffen, deren Bewohnern sie aus den Tarotkarten lesen konnte. Für
eine Frau war sie relativ groß, und sie wusste, dass Männer, selbst gaujo -Männer, den ungewöhnlichen Gegensatz zwischen ihren orientalischen Zügen – schwarzes Haar, olivbraune Haut – und den keltischen blauen Augen
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