Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blüte des Eukalyptus

Die Blüte des Eukalyptus

Titel: Die Blüte des Eukalyptus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Nicholls
Vom Netzwerk:
schätzten. Letzteres war das Einzige, was Stella, die Hure, ihr vererbt hatte. Für Keziah war ihr Äußeres weit weniger wichtig als der Stolz auf ihre Fähigkeiten. Als sie Calebs Blick begegnete, tat sie seine Bewunderung achselzuckend ab. Gem fand sie schön, das war alles, was zählte.
    »Vielleicht hast du Lust, unserer Haushälterin zur Hand zu gehen, bis dein Schiff zu den Kolonien ausläuft, Miss Stanley? Wir bezahlen unsere Dienstboten sehr gut.«
    Trotz der Warnung ihrer Großmutter vor den Tricks der gaujo wog sie diese rasch gegen die Vorteile seines Angebots ab. Für kurze Zeit gutes Geld unter dem Dach einer respektablen gaujo -Familie zu verdienen, wäre jedenfalls sicherer, als in einer Hafenstadt wie Liverpool, die zweifellos voller betrunkener Seeleute war, mit den Tarotkarten hausieren zu gehen. »Mit ihr zu reden, kann ja nicht schaden«, antwortete sie.

    Als sie die Auffahrt eines dreistöckigen georgianischen Hauses erreichten, das in einem kunstvoll angelegten Garten abseits der Straße stand, versuchte Keziah, ihr Staunen zu verbergen. Es war das imposanteste Gebäude, das sie je gesehen hatte. Roma wussten mit dem Luxus, den die gaujo für ihre Bequemlichkeit brauchten, nichts anzufangen, trotzdem konnte sie ihre Neugier auf die Schätze, die sich darin befanden, kaum verbergen.
    Caleb Morgan führte sie zum Dienstboteneingang auf der Rückseite und winkte einer Haushälterin mittleren Alters. Ihr Gesicht erinnerte Keziah an eine ausgepresste Zitrone.
    Caleb verfiel in einen lässigen Befehlston, als er das Wort an sie richtete.
    »Das ist Miss Keziah Stanley, Mrs. Wills. Sie ist auf meine Einladung hier. Ein ordentliches Frühstück wäre angebracht. Sie werden mir sicher dankbar sein, dass ich Ihnen ein ehrliches
Dienstmädchen besorgt habe, falls Miss Stanley sich entschließen kann, hierzubleiben und für Sie zu arbeiten.« Er drehte sich zu Keziah um. »Es war nett, sich mit Ihnen zu unterhalten. Jetzt habe ich in den Stallungen zu tun.«
    Am Nachmittag, nachdem sie ihre Hausmädchenuniform erhalten hatte, entdeckte Keziah in der großen Eingangshalle des Hauses einen ganz anderen Caleb Morgan. Er trug einen feinen Reitdress mit einer diamantenbesetzten Krawattennadel in Form eines Pferdehufs und lief mit großen Sätzen die geschwungene Treppe hinab. Am Fuß angekommen, sah er zu einer schemenhaften Gestalt am oberen Ende der Treppe empor.
    Als sie begriff, dass dieser andere Mann ihr neuer Master war, studierte Keziah ihn aufmerksam. Dunkles Haar mit leicht ergrauten Schläfen, kalte Züge, Adlernase: John Morgan war eindeutig ein Mann, dessen Wort Gesetz war. Trotzdem spürte Keziah, dass sein gesellschaftlicher Rang eher Fassade war als angestammtes Recht. Sie registrierte auch, dass Calebs Ton seinem Vater gegenüber eine feine Balance zwischen Respekt und lässiger Vertrautheit wahrte.
    »Danke für Ihr Verständnis, Vater. Es ist fabelhaft, wieder zuhause zu sein. Cambridge ist sterbenslangweilig.« An der Tür blieb Caleb einen Augenblick stehen und sagte leise: »Ich hoffe, dass du hier glücklich bist, Keziah.«
    Keziah . Zweifellos war dies das letzte Mal, dass sie ihren Vornamen hörte. In Zukunft wäre sie für jedermann im Haus einfach nur Stanley.
    Zwar verhehlte Mrs. Wills nicht ihr Misstrauen gegen Keziahs Herkunft, doch sie gab ihr keinen Anlass, an ihrer Arbeit oder ihren Manieren herumzumäkeln, denn sie war stets peinlich sauber, höflich, folgsam und zuverlässig. Trotzdem zählte Mrs. Wills jedes Mal das silberne Besteck nach, wenn Keziah es in der Hand gehabt hatte.
    Sie fand sich damit ab. Ganz gleich, wie ehrlich sie war, für die gaujo würde sie immer eine Zigeunerin bleiben. Die Warnung ihrer
Großmutter, sich nicht in ihren behaglichen Netzen zu verstricken, stets im Ohr, nahm sie sich das Versprechen ab, keinen Tag länger als nötig zu bleiben: nur so lange, bis sie das Geld für die Schiffspassage beisammenhatte. Das Schicksal in Gestalt von Caleb Morgan hatte sie in diesen sicheren Hafen geführt, wo sie jeden Penny ihres Verdiensts für die Reise nach New South Wales zurücklegen konnte, und diesen unerwarteten Vorteil würde sie zu ihren Gunsten nutzen.
    Zuerst hatte sie Caleb Morgan für einen gelangweilten jungen Mann gehalten, der seinen ganzen Charme einsetzte, um das zu bekommen, was er wollte. Unter den Dienstboten war es kein Geheimnis, dass der Hausherr seinen Sohn maßlos verwöhnte und sogar Calebs Spielschulden übernahm. Wenn er von

Weitere Kostenlose Bücher