Die Blüte des Eukalyptus
verdauen, indem er vorgab, sein Weinglas zu inspizieren. Schließlich stand er so würdevoll wie möglich auf.
»Dann will ich euch in eurem Vergnügen nicht länger stören. Ich gehe jetzt ins Lord Nelson und feiere dort mit Freunden, die gern auf mein Glück anstoßen werden.«
An der Tür drehte er sich noch einmal um. »Wenn du nichts dagegen hast, hole ich morgen Nachmittag meine Sachen ab.«
»Undankbarer Kerl!«, rief ihm Dix wie ein schmollendes Schulmädchen hinterher.
Die hässliche kleine Szene hatte Daniels Triumph die Spitze geraubt, trotzdem begab er sich ins Lord Nelson, um mit seinen Kommilitonen gebührend zu feiern. Sie würden ihm den Erfolg neiden, doch das würde sie nicht davon abhalten, sich von ihm einladen zu lassen.
Plötzlich überkam ihn Wehmut. Wie anders seine Freunde in Ironbark auf diese gute Nachricht reagiert hätten! Ganz zu schweigen von seiner Frau und seinem besten Freund Jake.
Eine Stunde nach Anbruch der Morgendämmerung schlenderte Daniel in Richtung Hyde Park. Das Herbstlaub raschelte unter seinen Schritten. Er blieb vor der ersten Statue in der Kolonie stehen, die die Bewohner von New South Wales trotz der Depression gespendet hatten, und betrachtete das herrliche, bronzene Abbild von Sir Richard Bourke, das im morgendlichen Sonnenlicht funkelte. Dann nickte er anerkennend vor der Leistung des Künstlers.
Obgleich er die ganze Nacht getrunken hatte, war er nur leicht beschwipst. Er musste sich waschen und umziehen, um bei der ersten Verabredung mit Mrs. Hamberton einen guten Eindruck zu hinterlassen.
Gegenüber von Dix’ Stadthaus blieb er wie angewurzelt stehen. Seine wenigen Habseligkeiten hingen an den Eisengittern. Zwei leere Leinwände lagen auf dem Boden, umgeben von abgebrochenen Pinseln und ausgedrückten Öltuben. Alle fertigen Bilder waren auf dem Pflaster verstreut und mit roten Farbklecksen gesprenkelt, die wie Blut aussahen. Nur eines nicht. Jakes Porträt war von einem der Eisenstäbe aufgespießt worden. Wo das Gesicht gewesen war, klaffte nun ein Loch. Daniel wurde übel bei
diesem Anblick, denn er spürte, dass Dix seine heimliche Liebe zu Jake durchschaut hatte.
Er setzte sich auf eine Bank im Hyde Park und betrachtete das Gemetzel, während ringsum die Tauben im Boden pickten. Was hatte Keziah noch gesagt? Wenn man den falschen Weg nimmt, ist es nicht wirklich der falsche Weg, sondern derjenige, der einem bestimmt war. Vielleicht bewahrheitet sich auf diese Weise das alte Bibelwort: »Verlasst euch nicht auf Fürsten.« Von jetzt an werde ich Saranna Plews’ letzte Bitte endlich beherzigen und die Kunst zu meiner einzigen Mätresse machen.
Reflexartig griff er in die leere Tasche seiner Weste, in der die Uhr gesteckt hatte, die er verpfändet hatte. Zwar besaß er genug Geld, um sie wieder einzulösen, doch gab es andere, dringendere Bedürfnisse. Wo er die nächste Nacht verbringen würde, war ein Problem, das er bis zum Einbruch der Nacht zu lösen hoffte. Wenn er Glück hatte, konnte er irgendwo in der Stadt bei einem Kommilitonen unterkommen. Jetzt hatte seine Verabredung mit Mrs. Hamberton Priorität. Aber wie sollte er so schnell an neue Malutensilien kommen?
Er holte einen ein Monat alten Brief von Keziah aus der Tasche und las ihn erneut, um sich Mut zu machen. Es war immer tröstlich, von zuhause zu hören. Von Ironbark und Jake.
Sei stark, Daniel.
Eines Tages wird die Gesellschaft Deine Kunst anerkennen, so wie Deine Freunde in Ironbark.
Seit anderthalb Jahren sind wir nun mit unserem wunderbaren vardo unterwegs. Jake hat mir mein Roma-Leben zurückgegeben. Wir wissen nie, wo wir am nächsten Tag sein werden, also kannst Du uns vorerst nicht schreiben. Vergiss nicht, niemand kann dafür, wen er liebt. Vergib mir, dass ich so lange gebraucht habe, um das zu verstehen.
Vormals Deine Frau, auf immer Deine Freundin, Keziah
Daniel spürte, wie sein Blick verschwamm, allerdings nicht aus Selbstmitleid. Er war von Ironbark weggegangen, weil er glaubte, sein Leben würde einfacher sein, wenn er weit weg von Jake war, mit gleichgesinnten Männern zusammen, doch jetzt erkannte er, dass das, was ihn mit seiner Ironbark-Familie verbunden hatte, viel stärker war als reines Verlangen.
»Wir waren ein merkwürdiges Gespann, Keziah«, sagte er leise. »Aber du hast mich so akzeptiert, wie ich bin.«
Er blickte auf das, was Dix angerichtet hatte, straffte die Schultern, um seine Erniedrigung zu verstecken, und ging über die Straße, um zu
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