Die Blüte des Eukalyptus
retten, was noch zu retten war. Ein paar abgebrochene Pinsel, einen Bleistift und ein unbeschädigtes Zeichenblatt hob er auf. Jakes gesichtsloses Porträt konnte er nicht ansehen. Die zerrissenen Leinwände waren nicht zu reparieren. Er wusch sich an einem öffentlichen Brunnen das Gesicht und machte sich dann schnellen Schrittes auf den Weg. Bis Woolloomooloo Hill über der Bucht waren es zwei Meilen.
Als das Dienstmädchen Daniel in die Residenz der Hambertons bat, war er sich seiner schäbigen Erscheinung bewusst. Er schämte sich, seines knurrenden Magens und der armseligen Malutensilien wegen. Trotzdem nahm er sich zusammen und war darauf gefasst, mit derselben kühlen Distanz behandelt zu werden, die ihm Charlotte Jonstone entgegengebracht hatte.
Als er Mrs. Hambertons privaten Salon betrat, saß sie mit dem Rücken zu ihm und blickte auf den Hafen. Die maßvolle Eleganz des georgianischen Mobiliars war beeindruckend. Zu seiner Überraschung entdeckte er eine Staffelei neben einer offenen Kiste mit Ölfarben und einem Topf mit verschiedensten Pinseln. Auf der Staffelei lehnte eine grundierte Leinwand.
Am meisten war er aber von dem Modell beeindruckt. Das Licht ist perfekt. Hoffentlich kann ich ihr gerecht werden.
Mrs. Hamberton war groß und schlank. Sie war nicht mehr jung, hatte sich aber einen unbestreitbaren Rest von jugendlicher
Schönheit in der Krone ihres blonden Haars bewahrt, das an den Schläfen leicht silbern schimmerte. Die feinen Lebenslinien in ihrem Gesicht interessierten Daniel viel mehr als der leere Ausdruck der Jugend.
Er fragte sich, warum sich eine Dame der höheren Gesellschaft so große Mühe gab, ihm seine Nervosität zu nehmen. Er hatte sie nie zuvor getroffen, trotzdem hatte er das Gefühl, dass sie ihn kannte. Sie hatte alles für ihn vorbereitet, bis hin zu mehreren Kitteln, die über einem Sessel lagen, und ihm den Respekt entgegengebracht, der einem berühmten Künstler zustand. Dennoch war Daniel klar, dass Jonstone ihr von seiner Vorgeschichte als Strafgefangener erzählt haben musste. War Mrs. Hamberton eine exzentrische Aristokratin? Eine wahre Liebhaberin der Kunst? Oder führte sie etwas anderes im Schilde?
Sie kam auf ihn zu und streckte ihm höflich die Hand entgegen.
»Willkommen, Mr. Browne. Sie sind mir von unserem gemeinsamen Freund Julian Jonstone wärmstens empfohlen worden. Wie Sie sehen, hat er bereits alles Nötige veranlasst. Ich hoffe, dass die Farben und Pinsel zu Ihrer Zufriedenheit ausfallen. Sollten Sie etwas anderes benötigen, lassen Sie es mich bitte wissen.«
Daniel war sprachlos. Sie behandelt mich fast so, als stünden wir auf einer Stufe. Dabei muss sie genau wissen, dass »unser gemeinsamer Freund« noch vor Kurzem die Macht besaß, mich auspeitschen zu lassen. Und sie auch nutzte!
Sie lud ihn ein, Platz zu nehmen, und bot ihm eine Tasse Tee an, die er dankbar akzeptierte. Obwohl er anfänglich etwas wortkarg war, erlag er bald ihrem Charme.
»Die Wahl der Requisiten und des Dekors überlasse ich Ihnen, Mr. Browne, aber ich will doch hoffen, dass Sie mir meinen Willen lassen und eines dieser Kleider für das Porträt aussuchen. Das Bild soll im Arbeitszimmer meines Mannes hängen, und er sieht mich am liebsten in Blau.«
Kein Wunder, es bringt die Farbe ihrer Augen besser zur Geltung. Wie seltsam. Violettblaue Augen. Genau wie die von Keziah . Daniel entschied sich für das türkisfarbene Seidenkleid, das sie bereits trug, und stellte erfreut fest, dass es ihm vorbehalten blieb, für die »Geschichte« innerhalb des Porträts zu sorgen – den Schmuck, den Sessel, den Hintergrund und die Pose auszuwählen, die nicht nur ihre Schönheit zum Ausdruck brächte, sondern hoffentlich auch ihren wahren Charakter. Er hatte irgendwo gelesen, dass sich in Schönheit immer auch ein Hauch von Traurigkeit verbarg. In den Augen dieser Frau glaubte er die Bestätigung für diesen Satz gefunden zu haben.
Durch ihr Interesse an dem kreativen Prozess ermutigt, fühlte Daniel sich frei, über Zeit und Ort ihres nächsten Treffens zu bestimmen.
»Ich liebe das australische Licht. Es ist perfekt, und im Hintergrund sieht man ein Stück Hafen und den Himmel. Um immer das gleiche Licht zu haben, würde ich Sie am liebsten jeden Tag um dieselbe Zeit hier malen – besser gesagt, wann immer Sie können. Wie Mr. Hamberton andeutete, habe ich nicht viel Zeit, um das Bild fertig zu stellen?«
»Mein Mann muss in Kürze seine neue Stelle als Richter antreten.
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