Die Blüte des Eukalyptus
»Jakob Andersen schändete den jungen Martens!«
Die Anwesenden im Gerichtssaal waren schockiert. Daniel sah, wie Keziah kreidebleich wurde.
»Du lügst, Iago. Das stimmt nicht!«
Der Wärter versuchte, Jake zu bändigen. Schließlich beruhigte er sich, nachdem der Richter gedroht hatte, ihn des Saals zu verweisen.
Als er gefragt wurde, warum er dies während seiner beeidigten Aussage nicht erwähnt hätte, kostete Iago den Augenblick genüsslich aus. Er sah erst Jake, dann Keziah und Daniel und schließlich den Richter an.
»Ich habe gezögert, weil ich weiß, dass derart bestialische Praktiken die Todesstrafe nach sich ziehen.«
Hambertons Gesicht war steif wie eine Maske. »Haben wir Sie richtig verstanden? Sprechen Sie von Sodomie?«
Iago senkte den Kopf. »Ich fürchte, ja, Euer Ehren.«
Daniel hielt Keziah davon ab, auf die Zeugenbank zu stürzen, aber er konnte sie nicht daran hindern, aus vollem Hals zu schreien: » Bengis in tutes bukko! «
Die Bedeutung des Roma-Fluchs kannte Daniel nicht, aber das Gift in ihren Worten war nicht zu übersehen. Daniel beobachtete, wie in der Zuschauerloge eine elegant in Blau gekleidete Dame aufsprang. Mrs. Hambertons behandschuhte Hand fuhr zu ihrem Mund, dann sank sie wieder zurück auf ihren Sitz.
Daniel zischte Keziah an: »Was, zum Teufel, hast du gesagt?«
Sie war außer sich vor Wut. »Soll der Teufel in deine Eingeweide fahren! Hast du Iagos Gesicht gesehen? Er weiß, was das
bedeutet! Er ist zwar kein Rom, aber ich bin sicher, dass meine Leute im Gefängnis ihn verflucht haben!«
Als im Gerichtssaal Ruhe einkehrte, warf Daniel einen ängstlichen Blick auf die Uhr. Viertel vor vier. Es war der Vorabend des Geburtstags der Königin; offensichtlich wollte der Richter das Verfahren schnell zu Ende bringen. Dennoch ließ er sich Zeit.
»Das britische Gesetz sieht vor, dass es für eine Verurteilung in einem so schwer wiegenden und abscheulichen Verbrechen wie Sodomie eines zweiten Zeugen bedarf. Aber es gibt niemanden sonst, der dies bezeugen könnte. Mr. Evans hat den Brief als Beweis eingebracht. Er hat ausgesagt, er hätte sich an dem Abend von Iago verabschiedet. Evans hat nicht behauptet, gesehen zu haben, wie Andersen und Martens beieinander gelegen hätten, unter welchen Umständen auch immer. Er hat diesen abscheulichen Akt in seiner beeidigten Aussage nicht erwähnt.« Der Richter zögerte kurz und warf einen unsicheren Blick auf den Gerichtsschreiber, ehe er dann fortfuhr: »Ich kann es als Beweis nicht zulassen.«
»Sieh ihn dir an!«, flüsterte Daniel Keziah zu. »Man merkt, dass er ein Neuling ist. Er ist sich nicht sicher, ob er richtig gehandelt hat.«
Keziah starrte auf die Uhr. Die Zeit verrann. Sechs der sieben Anklagepunkte waren wegen mangelnder Beweise fallengelassen worden. Der siebte beinhaltete Jakes Kenntnis von Gems Brief und sein Besitz an Sarishan. Die Jury sah es als erwiesen an, dass das Pferd eine Entlohnung für Dienste war, die Andersen dem Buschräuber Gem Smith alias Gypsy erwiesen hatte. Das Urteil lautete schuldig.
Keziah schrie vor Schreck auf. »Zwei Jahre! Mi-duvel! Gott stehe uns bei!«
Als wäre er in einem Albtraum gefangen, ohnmächtig und machtlos, ohne sich bewegen zu können, beobachtete Daniel, wie man Jake Handschellen anlegte, obwohl er sich wehrte, in seine Zelle zurückgebracht zu werden.
Als Keziah zusammenbrach, fing Daniel sie auf, konnte aber den Blick nicht von Jakes verzweifeltem Gesicht abwenden. Er stieß einen markerschütternden Schrei aus, als er ihr nicht helfen konnte, und Daniel war, als spürte er Jakes Schmerz in seinem eigenen Körper.
SECHSUNDVIERZIG
K eziah lag im Gästebett im Dachgeschoss der Haunted Farm und starrte auf die Rosette an der Decke. Immer war die Zeit ihre Verbündete gewesen und hatte ihr die Möglichkeit geboten, sich zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu bewegen. Jetzt aber war die Gabe verloren, auf die sie sich seit ihrer Kindheit hatte verlassen können, und der Blick in die Zukunft blieb ihr verwehrt.
Seit ihrem Nervenzusammenbruch nach der Urteilsverkündung im Gerichtssaal war sie innerlich wie abgestorben. Sie hegte keine Gefühle für das Kind in ihrem Bauch und bekam nur am Rande mit, dass Dr. Ross sich um sie sorgte. Nachdem sie schon den Zwillingsbruder verloren hatte, bestand die Gefahr, dass auch das zweite Kind eine Frühgeburt wurde.
Der Arzt hatte ihr strikte Bettruhe verordnet und darauf bestanden, dass sie in seinem Haus blieb.
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