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Die Blüte des Eukalyptus

Die Blüte des Eukalyptus

Titel: Die Blüte des Eukalyptus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Nicholls
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Wie konnte sie sich weigern? Sie hatte kein Dach über dem Kopf. Ihre anfängliche Angst vor der Haunted Farm und Padraics Geist spielte inzwischen kaum noch eine Rolle.
    Als Daniel dafür sorgte, dass die Kinder auf der Ironbark Farm in Polly Doyles Obhut kamen, damit sie dort zur Schule gehen konnten, fehlte Keziah die Kraft zu widersprechen. Jake saß im Gefängnis von Berrima, Nerida war mit Sunny Ah Wei meilenweit weg in Maitland unterwegs, und um Keziahs geliebte Pferde und um ihren vardo kümmerte sich Bran. Sie hatte das Gefühl, als hätte man all ihre Familienbindungen gekappt, als triebe sie in einer albtraumhaften Welt. Sie schlief unruhig trotz der namenlosen Arznei, die sie »zur Beruhigung« bekam.

    Es pochte an der Tür, und dann trat der Doc ein.
    »Bleiben Sie liegen, Mädchen. Daniel schläft unten und passt auf, dass Sie nicht gestört werden. Jakes Freunde haben sich zusammengetan, um für seine Entlassung zu kämpfen. Joseph Bloom müsste jeden Augenblick aus Sydney Town eintreffen. Und dann sehen wir weiter!«
    Keziah warf einen misstrauischen Blick auf das Glas, das er ihr reichte.
    »Ich fühle mich so unwirklich, Doc. Liegt das an der Medizin?«
    »Sie stehen unter Schock. Der Portwein wird Ihnen helfen einzuschlafen. Trinken Sie. Morgen sieht die Welt schon ganz anders aus.«
    Nachdem Dr. Ross den Raum verlassen hatte, inspizierte Keziah das Glas. Ihr Vertrauen in ihre eigenen Kräuter war genauso groß wie ihr Misstrauen gegenüber jeder gaujo -Medizin. Ob der Wein etwas von diesem Laudanum enthielt, in dessen verhängnisvollem Netz sich einst Sophie Morgan verfangen hatte? Sie roch daran, probierte und entschied, dass er nur nach Portwein schmeckte. Bald fühlte sie sich leicht und klar im Kopf und trotzdem auf angenehme Art schläfrig. Nachdem sie das Glas geleert hatte, hörte sie Janet Macgregor im Flur flüstern.
    »Dieser leere Blick in ihren Augen macht mir Angst, Leslie.«
    »Die Kleine hat eine ziemliche Tortur hinter sich, Janet. Sie wird es schaffen, aber im Moment ist sie nicht ganz bei Verstand.«
    Nachdem die Schritte verhallten, dachte Keziah über die Worte nach. Nicht ganz bei Verstand? Ihr war bewusst, dass es nicht ihre Augen waren, durch die sie die Welt sah. Fühlt sich so der Wahnsinn an?
    Das Licht des Mondes fiel durchs Fenster auf ihr Bett. Und wenn der Mondschein doch mein Haar weiß färbt? Königin Marie Antoinette bekam aus lauter Trauer weißes Haar. Und am Ende hat man sie enthauptet, warum sich also darüber aufregen?
    Statt einzuschlafen wurde sie wach und klar im Geist. Sie hatte das Gefühl, als würde sie immer tiefer in einen Strudel seltsamer,
farbiger Wachträume gezogen, die ganz anders waren als jene, die sie gekannt hatte und die sie in eine unbekannte Dimension führten. Sie war sich plötzlich jedes Zentimeters im Raum bewusst, erkannte jeden einzelnen Knoten im Holz. Sie sah Gesichter in den Tapetenmustern. Ein winziges Spinnennetz in der Deckenleiste nahm magische Bedeutung an.
    Im dunklen Haus war es völlig still. Keziah sah, wie der Spiegel den Vollmond reflektierte. Die Dimensionen des Raumes schienen auf seltsame Art zu verschwimmen, als betrachtete sie ihn unter Wasser. Und im nächsten Augenblick war alles wieder scharf, die Oberfläche des Holzes, des Messings, des Leinens und der Spitze schienen von unsichtbarer Energie erfüllt. In allem pulsierte eine geheime Lebenskraft.
    Diese Gefühle waren so aufregend, dass sie sie weiter erforschen wollte, obwohl sie sich instinktiv sträubte, ihrer Verlockung zu erliegen. Sie wusste, dass sie sich aus dem Griff dieser Eindrücke lösen musste, sonst wäre sie für immer verloren.
    Irgendetwas stimmt nicht! Kaltes Wasser! Sie stand vom Bett auf und ging zum Waschtisch. Es war, als schwebte sie. Das Mondlicht fiel auf den Boden wie ein Pfad, der sie geradewegs zum Spiegel führte.
    Doch als sie hineinsah, packte sie blankes Entsetzen. Das ist nicht mein Gesicht!
    Aus dem Spiegel starrte sie ein kahl geschorener Kopf an. Es war der Strafgefangene, den sie am alten Brunnen der Haunted Farm gesehen hatte. Padraic, der seinen Master Barnes getötet hatte. In diesem Raum?
    Der Angstschweiß stand Keziah auf der Stirn, trotzdem konnte sie die Augen nicht von dem traurigen, jungen Gesicht der Erscheinung nehmen, die schwarze Ringe um die Augen hatte, als wäre ihre Seele dazu verdammt, in alle Ewigkeit zu trauern. Als sich das Kind in ihrem Bauch bewegte, wusste sie, dass ihre Angst ansteckend war.

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