Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blüte des Eukalyptus

Die Blüte des Eukalyptus

Titel: Die Blüte des Eukalyptus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Nicholls
Vom Netzwerk:
Pfeife zu rauchen, beobachtete Keziah ihn ganz offen. Der Bart und das lange Haar ließen nur wenig von seinem Gesicht erkennen, abgesehen von den stahlgrauen Augen und dem fein geschwungenen Mund. Sie war neugierig. Wie sähe er wohl rasiert aus? Dann schweifte ihr Blick über den geschmeidigen, kräftigen Körper und die breiten Schultern. Die Männer hier waren eine Spezies für sich. Jake Andersen bewegte sich, als gehörte ihm die Welt.
    Und trotzdem erstarrte er, als sie aufstand, den Rock hob und auf ihn zuging. Warnend hob er die Hand. »Setzen Sie sich bloß nicht auf den hohlen Stamm! Ich habe gerade den Kopf einer Schlange darin gesehen.«
    Mi-duvel! Keziah trat ein paar Schritte zurück. »Giftig?«, fragte sie.
    »Tödlich«, antwortete er gelassen. »Aber nur, wenn sie beißt.«
    Keziah lachte nervös. »In diesem Land gibt es so viel zu lernen. Stört Sie meine Fragerei?«
    Offenbar wollte Jake vermeiden, ihr in die Augen zu sehen. »Ich denke, dass man so am schnellsten lernt.«
    Keziah nahm ihn beim Wort und wich nicht mehr von seiner Seite, emsig darauf bedacht, Antworten auf ihre brennenden Fragen zu erhalten. »Was war das für ein merkwürdiges Tier, das wir heute Morgen gesehen haben? Wie viele Arten von Eukalyptusbäumen gibt es? Wie bringen Kängurus ihre Kinder zur Welt? Sie nennen sie Joey? Was für ein süßer Name. So nennen wir die Zirkusclowns zuhause. Was ist ein Opossum?«
    Jake warf ihr einen seltsamen Blick zu. Keziah fragte sich, ob
sie vielleicht zu weit gegangen war. Er schien leicht irritiert von ihren Fragen. Doch als ein Schwarm von Papageien über sie hinwegflog und eine regenbogenfarbene Feder vom Himmel fiel, fing Jake sie hastig für sie auf.
    Keziah lachte entzückt und steckte sie neben die Straußenfeder an ihren Hut.
    Da aber Jake nach wie vor ihrem Blick auswich, schlug sie eine andere Richtung ein. »Was ist das Wichtigste, was ein neuer Siedler wissen sollte, Mr. Andersen?«
    Einen Augenblick lang wirkte er verblüfft. »Ich vermute, dass man hier nur überlebt, wenn man unseren komischen Sinn für Humor versteht.«
    Sie beugte sich vor, als wartete sie auf eine Erklärung. »Warum? Was macht Sie so anders als wir?«
    Er dachte kurz nach. »Mal sehen, wie Sie reagieren. 1830 erwischten die Trooper eine Bande von entflohenen Sträflingen, die sich als Buschräuber herumgetrieben hatten. Die Bande war unter dem Namen Ribbon Gang bekannt, weil sie ihre Hüte mit Bändern geschmückt hatte. Es waren Helden oder Verbrecher, je nachdem, wie man es sehen will. In Bathurst errichtete man einen Galgen auf der Straße, an dem man zehn von ihnen gleichzeitig aufknüpfen wollte, aber nicht einmal die Sterbesakramente des Priesters konnten einem der Verurteilten Gottesfurcht einflößen. Der Kerl schrie: ›Meine alte Mutter hat mir immer gesagt, ich würde wie ein braver Soldat mit meinen Stiefeln an den Füßen sterben, und jetzt muss ich sie Lügen strafen!‹«
    »Und dann?«, fragte Keziah und hielt den Atem an.
    Jake machte eine wirkungsvolle Pause. »Dann hat er seine Stiefel abgestreift und ist barfuß in die Ewigkeit eingegangen!«
    Keziah starrte ihn an. »Sie wollen sagen, er hat sich noch in seinem letzten Stündlein über den Tod und die Welt lustig gemacht! «
    Jake grinste. »Sie haben es erfasst! Ich glaube, dass Sie hier ganz gut zurechtkommen werden, Mrs. Smith. Und jetzt steigen
Sie bitte wieder ein. Noch ehe ein Lamm zweimal mit dem Schwanz schlagen kann, geht es weiter.«

    Am nächsten Tag verdunkelte sich der Himmel von einer Minute auf die andere, und es begann wie aus Kübeln zu schütten. Der Wind peitschte so heftig gegen die Kutsche, als wollte er sie von der Straße fegen. Keziah kauerte unter ihrer Regenhaut und beobachtete, wie sich die Bäume bogen. Die Äste schienen vor Schmerz zu ächzen, wenn sie von ihrem Stamm gerissen wurden und in den Busch krachten. Sie war von der Macht des Windes fasziniert, Saranna jedoch stand die Angst ins Gesicht geschrieben. Trotzdem brachte sie ein schwaches, nervöses Lächeln zu Stande, als sich ihre Blicke trafen.
    Keziahs Lächeln hingegen war aufrichtig. Die lange Zeit, in der sie gemeinsam in der Enge der Kutsche eingeschlossen gewesen waren, hatte die Klassenunterschiede wie die Schalen einer Zwiebel gelöst und zu Tage gefördert, wer sie wirklich waren. Saranna und sie hatten beide die Welt umsegelt, um den Mann zu finden, den sie liebten. Beide hatten kaum Geld und kämpften, auf sich allein gestellt, ums

Weitere Kostenlose Bücher