Die Blüte des Eukalyptus
liefen in alle Richtungen davon.
Nerida kam mit Murphy auf dem Rücken in den Klassenraum gestürzt und fand Keziah in Tränen aufgelöst.
»Nerida! Es kommt viel zu früh. Mein Kind wird sterben!«
»Keine Sorge, Miss.«
Nerida stützte Keziah, als sie auf die Stelle zugingen, die sie sich vorher ausgesucht hatten – eine abgelegene Uferbank am Bach, die von dichtem Gestrüpp derart abgeschirmt war, dass sie wie eine zum Himmel offene Geheimkammer wirkte. Schon wenig später steckte ihr Nerida einen Leinenknebel in den Mund, damit man sie nicht schreien hörte.
Keziah beobachtete, wie Nerida ein kleines Feuer anzündete und einen Topf mit Wasser aus dem Bach aufsetzte. Immer wieder nahm sie den Knebel aus dem Mund, um Nerida nervöse Anweisungen zu erteilen.
»Halt die Augen auf. Wenn irgendwer erfährt, was hier vorgeht, bin ich verloren!«
Nerida nickte ruhig und steckte ihr den Knebel wieder in den Mund. Die Kleine hatte keineswegs mit ihren Kenntnissen geprahlt. Erfahren und selbstbewusst holte sie das Kind auf die Welt. Und was ihm an Größe mangelte, machte es mit der Kraft seiner Lungen wett.
» Mi-duvel! «, jammerte Keziah. »Ganz Ironbark wird ihn hören! «
»Schlau, was? Gesundes Baby. Dickes Bäuchlein.« Stolz trug Nerida den Jungen zum Feuer, wiegte ihn in den Armen und sang ihm leise vor. Keziah beobachtete sie verwundert, so vertieft in den Augenblick, dass sie ganz vergaß, sich danach umzusehen, ob jemand in der Nähe war.
Auf den ersten Blick hatte sie nur Verwirrung und Erleichterung zugleich gespürt. Nicht Liebe. Würde dieses kleine Ding kräftig genug sein, um zu überleben? Sie suchte in dem flaumigen blonden Haar und seinem Gesicht nach Ähnlichkeiten mit seinem Vater Caleb Morgan. Seine Gesichtsfarbe war ein wenig heller als ihr eigener olivbrauner Teint. Es starrte sie aus seinen dunkelblauen Augen an. Sie zählte seine Finger und Zehen. Alles war in Ordnung. Ihr Hass auf Caleb kämpfte gegen ihre
Ehrfurcht, weil das ungewollte kleine Wesen so vollkommen war.
Das heimtückische Netz der Morgans schien nun weit weg zu sein. Offenbar spürte das Baby instinktiv die widersprüchlichen Gefühle, die sie empfand. Es umklammerte ihren Finger mit seiner Hand und zwang sie, zu ihm zu sprechen.
» Maduveleste «, sagte Keziah und küsste es auf die Stirn. Dann nahm sie Neridas Hand und fügte hinzu: »Gott segne auch dich, Nerida.«
Der Ausdruck des Kindes war ernst und unbewegt.
»Werde ich jemals vergessen können, woher du stammst?«, fragte sie leise. »Wenn jemand mir beibringen kann, wieder zu lieben, dann bist du es, mein Kleiner. Bitte, bleib am Leben!«
Keziah lächelte Nerida zu. Nach dem, was sie zusammen erlebt hatten, brauchten sie keine Worte mehr. Ihr Leben war parallel verlaufen. Beide waren von den Vätern ihrer Kinder betrogen worden.
Nerida sah zu, wie der Kleine an Keziahs Brust nuckelte. »So klein, aber schlau. Hat gleich raus, wie es geht!«
Keziah blickte ihm in die Augen und sprach ihren stärksten Roma-Eid.
»Ich schwöre bei der Hand meines Vaters: Ich werde dich lieben, dich beschützen und dir das Leben so schön wie möglich machen!«
Im Einklang mit ihren Traditionen verbrannte Keziah alle Tücher, die sie bei der Geburt benutzt hatte. Da sie zu erschöpft zum Laufen war, kroch sie mit dem Kind auf dem Arm zum Rand des Baches, spritzte Wasser auf sein Köpfchen und flüsterte seinen wahren Namen, der geheim bleiben musste, um ihn vor dem beng , dem bösen Blick zu beschützen.
Dann blickte sie auf, erschrocken über den unerwarteten Anblick eines Reiters, der gerade im Busch verschwand.
Im Schutz der Dunkelheit kehrten sie kurz vor der Morgendämmerung in ihre Hütte zurück. Keziah legte sich ins Bett und beobachtete,
wie Nerida das schlafende Neugeborene in einen Kokon aus Leinen wickelte, ehe sie es in eine mit Kissen gepolsterte Obstkiste legte.
»Jetzt bringst du ihn auf die Schulveranda, ja? So wie wir es verabredet haben.«
Nerida nickte ruhig, doch plötzlich überwältigte Keziah die Angst, das Kind könnte von einem Dingo oder einem anderen wilden Tier angefallen werden. »Aber du musst ihn im Auge behalten, bis irgendwer ihn gefunden hat. Wegen der Schlangen! Sie brüten doch jetzt, nicht wahr?« Dann begann sie zu weinen. »Wie konnte mir das nur passieren?«
»Keine Sorge, Miss. Ich passe auf, dass keiner ihn stiehlt. Sie schlafen.«
Keziah kämpfte gegen den Schlaf an. Sie zog sich einen Stuhl ans Fenster, wo sie die
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