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Die Blüte des Eukalyptus

Die Blüte des Eukalyptus

Titel: Die Blüte des Eukalyptus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Nicholls
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Umrisse der Schule und die kleine Kiste auf der Veranda sehen konnte. Nerida hielt Wache in ihrem Versteck im Gebüsch.
    Endlich brach der Morgen an. Keziah erkannte eine Gestalt, die sich der Schule näherte. Es war einer der Strafgefangenen, die für Mr. Hobson arbeiteten, Sholto, ein Riese aus Glasgow. Er war dermaßen tätowiert, dass er wie eine wandelnde Bettdecke mit Paisleymuster aussah. Als er das leise Weinen des Kindes hörte, blieb er stehen und rief: »Allmächtiger!«
    Nerida tauchte wie aus dem Nichts auf und zeigte mit dem Finger auf die Hütte. Dann sah Keziah, wie er mit der Kiste in den Händen, die er so vorsichtig trug wie ein Junge ein Nest mit seltenen Vogeleiern, auf sie zukam.
    Beim ersten Klopfen öffnete sie die Tür und tat überrascht. »Um Gottes willen, Mr. Sholto. Was haben Sie denn da in der Kiste? Ein Hündchen?«
    »Nay, Miss, ein Kindchen.«
    Nerida unterdrückte ein Kichern hinter vorgehaltener Hand.
    »Lassen Sie es vorerst hier, Mr. Sholto. Wir sorgen dafür, dass es angemessen versorgt wird.«

    Kaum hatte sie die Tür geschlossen, legte sie den Kleinen an die Brust.

    Nach zwei Tagen hatte sich Keziah so weit erholt, dass sie Joseph Bloom aufsuchen und ihn beiläufig von der Existenz des Findlings in Kenntnis setzen konnte, den sie Gabriel Stanley genannt hatte. Sie bot sich als Pflegemutter an, bis sich die richtige Mutter meldete und das Kind beanspruchte.
    »Gabriel Stanley hätte sich keine bessere Mutter aussuchen können, Miss Plews«, sagte er überzeugt.
    Sie lächelte ihn erschrocken an. Mi-duvel! Ob er etwas ahnt?
    Sie hatte nur wenige kostbare Tage, um Gabriel die Brust zu geben, ehe sie wieder in die Schule musste. Traurig trank sie dann den notwendigen Sud aus Kräutern, um abzustillen. Ein Glück, dass Nerida beschlossen hatte, Murphy zu entwöhnen, damit sie als Amme für Gabriel dienen konnte. Trotzdem empfand Keziah es als Verlust, dass sie nicht im Stande war, ihr Kind selbst zu ernähren.
    Als sie in die Schule zurückkehrte, hatte die Anstrengung der geheimen Geburt ihren Tribut gefordert. Keziah bildete sich ein, Sarannas mulo zu sehen – oder sah sie ihn tatsächlich? Lag es an der Anfälligkeit, an der Frauen nach einer Geburt manchmal leiden? Oder wurde sie langsam verrückt?
    Eines Nachts meinte sie zu sehen, wie der schwarzbärtige Reiter sie hinter Bäumen versteckt beobachtete. Ein kleiner roter Punkt glomm im Dunkeln auf. Dann wurde sie von Gilbert Evans abgelenkt, der in einiger Entfernung vorbeiritt, und als sie wieder hinsah, war der geheimnisvolle Reiter verschwunden. Das war kein mulo . Dort, wo sie ihn gesehen hatte, fand sie eine halb gerauchte Zigarre.

ZWANZIG
    J ake Andersen spürte, wie ihm der Schweiß über den Rücken floss. Das Hemd klebte an seinem Körper, das lange Haar an seinen Wangen, sein Atem kam in kurzen mühsamen Stößen, trotzdem blieb er nicht am Treppenabsatz stehen, um sich auszuruhen. Er war bereits achtundvierzig Mal ohne Unterbrechung hinauf- und hinuntergelaufen und fest entschlossen, sein heutiges Ziel von fünfzig zu erreichen, weitaus mehr, als Dr. Ross ihm nahegelegt hatte, um sich langsam wieder ans Laufen zu gewöhnen.
    Jake zweifelte nicht im Geringsten daran, dass Horatio den bevorstehenden Durchbruch spürte und wie er auf ihren ersten gemeinsamen Ausflug nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus brannte. Zwar hatte er sich wochenlang dem strengen Regiment von Dr. Ross auf der Haunted Farm unterordnen müssen, war aber mehr als Ehrengast denn Patient behandelt worden.
    Am Fuß der Treppe setzte sich Jake erleichtert hin und erinnerte sich an den trostlosen Tag, an dem der Doc ihm den Gips von dem geschwollenen Bein geschnitten und ihn unheilverkündend angesehen hatte.
    »Junge, man muss den Tatsachen ins Auge blicken. Das Schicksal hat es nicht gut mit Ihnen gemeint. Ihr Bein ist zwar wieder geheilt, aber so schwach, dass Sie im Großen und Ganzen nur das gesunde belasten können. Mit etwas Glück werden Sie für den Rest Ihres Lebens nur ein bisschen hinken.«
    »Wollen Sie darauf wetten, Doc?«, hatte Jake damals erwidert.
    Als er nun das Wohnzimmer betrat, war Jake auf ein noch härteres Urteil gefasst. Er biss die Zähne zusammen und verteilte
sein Körpergewicht gleichmäßig, um dem Doc nicht zu zeigen, dass er humpelte.
    Leslie Ross war soeben aus Gunning zurückgekehrt, wo er Zwillinge auf die Welt geholt hatte. Er sah von seinem Sessel vor dem Kamin auf und beobachtete mit gerunzelter Stirn,

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