Die Blueten der Freiheit
sich, dass keine Zeit für eine Andacht blieb. Ich tauchte meine Hand bis auf den Grund des Beckens und versuchte, das Gleichgewicht zu halten, als sie mich fortzerrte. Weihwasser spritzte auf den Boden.
»Vergebt mir meine Offenheit, aber …«
»Nimm sie einfach mit!« Wir waren direkt vor der heiligen Muttergottes stehen geblieben.
»Sie mitnehmen? Wen?« Wollte sie, dass ich die Statue mitnahm? Wie sollte ich das denn anstellen?
»Heilwich?« Die heilige Muttergottes schien mit mir zu sprechen.
Ich war fasziniert und erschrocken zugleich und bekreuzigte mich. Ich wollte mich schon vor der Statue auf den Boden werfen, als ich die Stimme erkannte. Aber das konnte doch nicht sein … oder doch? »Katharina?«
»Heilwich! Bist du es wirklich?«
»Ja, ich bin es wirklich. Aber … wo bist du?«
»Ich dachte, du kommst erst am Dienstag.« Ich sah das Gesicht meiner lieben Schwester unter dem Rock der heiligen Muttergottes auftauchen.
»Was machst du dort oben? Komm sofort herunter! Natürlich wäre ich am Dienstag gekommen. Ich bin bloß … ein wenig früher dran.«
»Frag sie, ob sie mich gehen lässt.«
»Warum sollte sie dich nicht gehen lassen? Ich habe das Geld, das sie verlangt hat, bei mir. Jede einzelne Münze.«
»Frag sie, Heilwich!«
Es hatte keinen Sinn, meine Schwester zur Vernunft bringen zu wollen, wenn sie sich erst einmal etwas in ihren komischen Kopf gesetzt hatte. Ich wandte mich der Mutter Oberin zu und versuchte, ihre Hand zu küssen, doch sie entzog sie mir. »Nimm sie mit und verschwinde.«
»Hast du das gehört, Katharina? Sie sagt, wir können gehen.«
Die Mutter Oberin lehnte sich zu mir. »Erzähl nie jemandem davon!«
Ich hatte keine Ahnung, warum sie so verärgert war. Ich hatte doch das Geld bei mir, das sie verlangt hatte, oder etwa nicht?
Ich trat vor und streckte mich, um Katharinas Hand zu nehmen. Sie glitt von dem Podest, und ihr Rock rutschte hoch. Als wäre sie noch immer ein kleines Mädchen! Ich zog ihr den Rock zurecht. »Lass uns nach Hause gehen.«
Wir waren bereits durch das Tor hindurch und auf die Straße hinausgetreten, als mir einfiel, dass ich der Mutter Oberin das Geld nicht gegeben hatte … Aber sie hatte auch nicht danach gefragt, nicht wahr? Und sie hatte mir aufgetragen, nie jemandem davon zu erzählen. Und damit war auch sie selbst gemeint, nicht wahr?
Aber was sollte ich nun tun?
Ich wandte mich von dem Kloster ab und meiner Schwester zu. »Du siehst abgemagert aus. Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?«
»Heute Morgen. Jemand hat einen ganzen Laib Brot abgelegt. Nur für mich!«
Nur für sie. Als hätte sie noch nie zuvor einen Laib Brot für sich alleine gehabt. Das machte mir die Entscheidung leichter. Wenn sie meiner Schwester kein ordentliches Essen vergönnt hatten, dann fühlte ich mich nicht dazu verpflichtet, ihnen etwas von meinem Geld zu geben.
»Heilwich, ich habe mich gefragt, ob wir …«
»Was? Möchtest du nach Hause? Dorthin sind wir unterwegs.« Und Pater Jacqmotte würde einfach damit leben müssen. Er musste mit uns beiden leben. Tatsächlich würde er sie vermutlich gar nicht bemerken.
» Nee, Heilwich. Dort draußen gibt es einen Mann. Er verkauft Fische. Können wir … zu ihm gehen und … welche kaufen?«
Wir kauften einige Heringe und auch einen Aal. Dabei wären wir beinahe von Pieter umgerannt worden, dem Bengel, den ich dafür bezahlt hatte, mir zu sagen, wenn Katharina aus dem Kloster geworfen wurde. Der arme Junge – ich wäre auch gerannt, wenn ich so eine Mutter gehabt hätte, die hinter mir her gewesen wäre!
Katharina war so gut wie blind. Und sie ging so gebückt wie eine alte Frau. Doch während wir nebeneinanderher gingen, hielt sie meine Hand umklammert und redete unaufhörlich. Gab es denn kein einziges Wort, das dieses Kind nicht kannte? Die Dinge, die sie zu erzählen hatte, schienen kein Ende zu nehmen.
»Rede ich zu viel?«
»Wie bitte?«
»Rede ich zu viel? Wir durften nicht sprechen, im Kloster. Aber ich möchte dir nicht auf die Nerven gehen.«
»Wie kommst du denn auf solche Gedanken? Nee. Du gehst mir nicht auf die Nerven.«
Sie redete beinahe die ganze Zeit, bis wir zu Hause ankamen. Dann hielt sie inne. »Ich hoffe …« Sie drückte meine Hand.
»Ja?«
»Ich hoffe, es hat dir nicht allzu große Schwierigkeiten bereitet, Heilwich, mich aus dem Kloster zu holen.«
Schwierigkeiten? »Mach dir keine Gedanken, mein Kind. Es hat mir absolut keine Schwierigkeiten
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