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Die Blueten der Freiheit

Die Blueten der Freiheit

Titel: Die Blueten der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Anthony
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Richtung, in die der Priester gezeigt hatte.
    »Er auch.«
    Mein Vater hielt inne. Blickte zu mir zurück. »Nein.«
    »Doch.«
    Mein Vater sah mich mit traurigen Augen an. Und plötzlich hatte ich zum ersten Mal an diesem Morgen Angst. Doch mein Vater winkte mich zu sich, und was hätte ich anderes tun können, als ihm zu folgen? Also gingen wir gemeinsam am Tor vorbei – er vorne und ich einige Schritte hinter ihm –, bis wir zu einem Loch kamen, das jemand ausgehoben hatte. Ich kannte den Ort gut. Ich hatte mich oft genau hier niedergekniet, wenn ich das Grab meiner Mutter besucht hatte.
    Der Priester und die anderen Menschen folgten uns, auch wenn sie genügend Abstand hielten und schließlich auf der anderen Seite des Tores stehen blieben. Alle, außer dem Priester. Er kam mit ausgestreckter Hand, in der er ein Stück Stoff hielt, auf uns zu. »Hier.« Er warf es meinem Vater zu.
    Mein Vater humpelte zu dem Stück Stoff hinüber, hob es auf, schüttelte den Staub ab und zog es über seinen Kopf. Dann richtete er sich auf und wandte sich dem Priester zu. Die Krücke hatte er sich unter den Arm geklemmt.
    »Stellt Euch in das Grab.«
    »Das kann ich nicht.« Er verlagerte sein Gewicht und hob die Krücke hoch.
    »Dann eben daneben.« Der Priester wandte sich mir zu. »Du auch.«
    Ich sah meinen Vater an. Er nickte. »Stell dich einfach auf die andere Seite.«
    Und so standen wir also da. Zwei Männer der Familie Girard, die einander über ein flaches Grab hinweg ansahen.
    Der Priester hob seinen Arm und begann, die Vorschriften der Kirche zu verlesen. »Es ist dir verboten, jemals eine Kirche, ein Kloster, einen Jahrmarkt, eine Mühle, einen Markt oder eine Volksversammlung zu besuchen. Ich gebiete dir außerdem, nur einherzugehen in deinem Leprosenanzug, damit du von anderen erkannt werden kannst, und du sollst nicht barfuß außerhalb des Hauses gehen. Es ist dir verboten, deine Hände, und was du sonst zu waschen nötig hast, in Quellen und Rinnen von irgendwelchem Wasser zu waschen, und wenn du trinken willst, so sollst du das Wasser mit deinem Becher oder irgendeinem anderen Gefäße schöpfen. Ich lege dir ans Herz, dass du nicht irgendeine Sache, die du kaufen willst, wo es auch sei, anrührest, bis sie dir gehört.« Er hielt inne, um zu husten. Dann spuckte er auf den Boden. »Ferner trage ich dir auf, dass du nicht in ein Wirtshaus gehest, und wenn du Wein kaufst, oder was dir sonst gereicht wird, so fülle es in dein Fläschchen. Ferner befehle ich dir, nicht mit irgendeinem Weibe umzugehen, es sei denn, sie ist deine Frau. Ich befehle dir, wenn auf dem Wege dir jemand begegnet und dich befragt, dass du nicht antwortest, bis du aus der Windrichtung gegangen bist. Es ist dir verboten, eine enge Gasse zu betreten, damit du nicht mit jemandem zusammenstoßen kannst. Ferner befehle ich dir, dass du nicht den Balken oder das Seil eines Brunnens anrührest, bevor du nicht deine Handschuhe angezogen hast. Ich befehle dir, dass du keine Kinder anrührest und ihnen etwas von deiner Habe gibst. Ferner befehle ich dir, dass du in Gesellschaft anderer Leute nicht essest und trinkest, außer aus deiner eigenen Schüssel.«
    Dann nahm der Priester einen Klumpen Erde in die Hand und warf sie in Richtung meines Vaters. Er verfehlte ihn. Stattdessen traf er mich auf der Stirn. Ich spürte, wie mein Kinn zu zittern begann und ich zu weinen anfing.
    Danach warf der Priester uns eine Rassel zu, die mein Vater verwenden musste, um andere vor seinem Kommen zu warnen. Schließlich ließ er eine Holzschüssel auf uns zurollen. »Nicolas Lefort, Ihr seid ein toter Mann, der nur noch vor Gottes Augen lebt. Gehet hin in Frieden.«
    Friede. Der einzige Friede, den ich gekannt hatte, war dahin, als der Priester diese Worte sprach.

Kapitel 29
    Katharina Martens
    Lendelmolen, Flandern
    I ch war nicht hinter der Statue hervorgekommen. Und ich würde es auch nicht tun. Sie hatten versucht, mich zu überreden, doch ich war nicht darauf eingegangen. Sie hatten auch versucht, das Nachtgebet in der Kapelle abzuhalten, doch ich hatte weiter lauthals meine Fragen gestellt.
    Am nächsten Tag war die Kirche leer geblieben. Die Glocken riefen weiterhin zu den Gebeten, doch sie mussten wohl woanders abgehalten worden sein. Während ich dort stand und mich ab und zu an der Wand entlang in die Hocke gleiten ließ, war ich den ganzen Tag mit Gott alleine in der Kapelle. Und mit der Novizin. Sie war die ganze Zeit bei mir. Ich hörte sie atmen.

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