Die Blueten der Freiheit
getan hatte!
Ich ging mit großen Schritten auf das Bett zu und riss die Vorhänge herunter, die uns vor den neugierigen Augen der Diener geschützt hatten.
Mein Leben hatte sich in ein absolutes Durcheinander verwandelt. Ich hatte meinem Liebhaber gedroht, ihn zu erschießen. Ich kämpfte für das, was mir von Geburt an gegeben worden war.
Ich sollte den Marquis töten.
Es war nicht das erste Mal, dass ich darüber nachdachte. Durch seinen Tod würden all meine Probleme auf höchst befriedigende Art und Weise gelöst werden. Dennoch sah ich aus Prinzip davon ab. Warum sollte ich um etwas betteln, das mir bereits zustand? Er hatte meine Mutter geheiratet. War meine Existenz nicht Beweis genug dafür? Wie konnte er all die Jahre der Schande und der Qual einfach auslöschen? Wie konnte er so tun, als sei das alles nicht geschehen? Wie konnte er sagen, dass keiner von uns beiden etwas bedeutete?
Aber meine Geburt war nun einmal eine Tatsache. Und ich sollte etwas bedeuten.
Bei Gott, ich würde dafür sorgen, dass er für mich bezahlte! Jemand sollte für all die Schmerzen bezahlen. Jemand … er … sollte sagen, dass es ihm leidtat. Mon dieu, Julienne! Was glaubst du, wer du bist?
Es spielte keine Rolle, wer ich war.
Das Schicksal hat dir deine Schönheit geschenkt, aber Gott machte dich zu einem Jungen. Und nun müssen wir versuchen, Gottes Fehler wiedergutzumachen. Es ist unser Geheimnis, und wir dürfen nie jemandem davon erzählen. Wenn du vorsichtig und sehr brav bist, dann wird es nie jemand herausfinden, und du wirst immer mein kleines Mädchen sein. Maman braucht ihr kleines Mädchen. Solch eine zarte Schönheit sollte nicht an einen ungezogenen und gemeinen Mann verschwendet werden.
Ungezogen und gemein: ein Mann. Das war es, was ich war.
Es war ein Fluch und ein Unglück gewesen, dass ich als Mann geboren worden war. Aber nun war alles gut. Ich musste nur das sein, was man von mir erwartete. Wenn man mich bloß als den Erben des Marquis d’Eronville anerkennen würde, dann würde letzten Endes alles gut werden.
Kapitel 28
Alexandre Lefort
Auf der Straße nach Signy-sur-Vaux, Frankreich
I ch hatte De Grote nicht getötet, doch ich hätte es getan, hätte der Hund mir diese Aufgabe nicht abgenommen. Ich hätte ihn getötet, wie ich damals als zehnjähriger Junge den Priester getötet hatte. Was brachte die Menschen dazu, mich ständig zu quälen?
De Grote war nicht der Erste gewesen. Diese Ehre gebührte dem Priester von St. Segon.
Ich versuchte, nicht an ihn zu denken, doch meine Sünden lauerten mir stets in den dunkelsten Winkeln meiner Seele auf. Selbst in meiner ersten Erinnerung spielte der Priester eine Rolle. Ich erinnerte mich an den Tag, als wir zur Kirche gegangen waren:
Nachdem wir an diesem Morgen aufgestanden waren, forderte mich mein Vater auf, mit ihm in die Stadt zu gehen. Ich war herausgeputzt, während er seine hässlichsten Kleider trug und sich auf eine Krücke stützte. Er warnte mich davor, ihm zu nahe zu kommen, und benutzte seine Krücke, um mich fortzustoßen, sobald ich den Abstand zu ihm verringerte. Ich erinnerte mich daran, wie der Totengräber in unser Haus schlich, kurz nachdem wir es verlassen hatten.
»Papa, was tut er da?«
Mein Vater blieb stehen und drehte sich um. Er legte eine Hand über seine Augen. Dann sah er – genauso wie ich –, wie der Totengräber einen unserer Stühle aus dem Haus trug. »Es ist in Ordnung. Er ist in Ordnung.«
»Aber …«
»Wir werden erwartet, fiston. In der Kirche.«
Und er hatte tatsächlich recht. Doch obwohl man uns erwartete, war es uns nicht erlaubt, die Kirche zu betreten. Die Gemeinde hatte sich am oberen Ende der Treppe vor dem mächtigen Kirchentor versammelt.
Der Priester hob eine Hand, als er uns kommen sah. »Das ist weit genug.«
Mein Vater stellte seine Krücke vor sich in den Staub und lehnte sich darauf. »Aber der Junge …«
»Er soll bei Euch bleiben. So wie die letzten Jahre auch.«
»Aber er zeigt keine Anzeichen.«
»Jetzt noch nicht. Aber das kann noch kommen.«
Mein Vater warf mir einen Blick zu. Er streckte einen Arm nach mir aus … doch dann ließ er ihn wieder fallen. Er sah den Priester an und nickte.
»Dort drüben ist Euer Grab.« Der Priester zeigte mit seinem langen, knochigen Finger hinüber auf den Friedhof.
Mein Vater wandte sich mir zu. »Bleib hier. Wenn das hier vorbei ist, dann gehen wir gemeinsam zurück … Wir gehen wieder nach Hause.« Er bewegte sich in die
Weitere Kostenlose Bücher