Die Blueten der Freiheit
Ich hörte das Rascheln ihres Rockes und ihr Flüstern, wenn sie sich vor dem Altar niederkniete. Aber ich machte mir deshalb keine Sorgen. Ich wusste, dass niemand zu mir vordringen konnte, und sie versuchten es auch nicht.
Bis zum darauffolgenden Tag.
An diesem Morgen hörte ich die Schritte zweier Menschen, die den Mittelgang herunterkamen.
»Katharina?«
»Wer ist da?« Die Stimme klang so leise, dass ich mir nicht sicher war, ob ich tatsächlich etwas gehört hatte.
»Ich bin es, Mathild.«
»Mathild?« Aber ich dachte … Hatten sie sie denn nicht hinausgeworfen?
»Ja. Ich bin es. Sie meinten … sie meinten, wenn ich wieder zurückkomme, dann lassen sie mich hierbleiben.«
»Hier? Nachdem sie dich hinausgeworfen haben? Und sie haben dich doch hinausgeworfen, nicht wahr?«
»Ja.«
Ich hatte es gewusst! Aber … »Wenn sie dich hinausgeworfen haben, warum willst du dann wieder zurückkommen?«
Ich hörte ein leises Schluchzen. »Du hast ja keine Ahnung. Du hast ja keine Ahnung, wie es dort draußen ist. Die Dinge, die sie mit uns anstellen …«
Böse Dinge. Das hatte Heilwich bereits gesagt. Ich presste mich fester gegen die Kapellenwand. »Warum bist du hier?«
»Sie wollen, dass ich mit dir spreche … Du musst herauskommen. Du musst aufhören, von diesen Dingen zu sprechen.«
»Aber warum? Es ist die Wahrheit. Und hat man dich nicht gezwungen … böse Dinge zu tun?«
»Ja.«
Ich konnte sie kaum hören. »Warum darf ich es dann nicht sagen? Wo es doch die Wahrheit ist?«
»Es hat keinen Sinn. Es ändert nichts daran. Du machst es bloß noch schlimmer.«
Schlimmer? Für wen? Ich hörte ein Flüstern, während ich weiter in meinem Versteck ausharrte.
»Bitte. Komm heraus. Bitte, Katharina! Für mich. Wenn du nicht herauskommst, dann lassen sie mich nicht hierbleiben. Ich möchte nicht wieder fortgehen müssen. Schickt mich nicht wieder fort!« Die letzten Worte waren nicht mehr an mich gerichtet gewesen. Mathild hatte sich bereits von der heiligen Muttergottes – und von mir – abgewandt. Sie wehrte sich. Ihre Stimme wurde leiser, und ihre Schritte entfernten sich immer weiter. Ich nahm einen Geruch wahr. Und dann wusste ich, wer bei ihr gewesen war.
»Ich komme nicht heraus!«
Irgendwann in der folgenden Nacht musste jemand in die Kapelle gekommen sein. Als ich aufwachte, roch ich den Duft von Brot, und meine Hand entdeckte bald, woher er kam. Jemand hatte einen Laib Brot auf den Mauervorsprung neben mir gelegt.
Ich aß alles auf und wischte die Krümel an meinem Rock ab, als ich fertig war. Ich streckte meine Knie durch und ließ mich an der Wand hinuntergleiten, bis ich beinahe saß. Hier, in meinem Gefängnis, war ich in Sicherheit. Es war warm, und kein Wind fand seinen Weg in die Kapelle. Nichts störte den Frieden. Es war kein schlechter Ort … viel besser als die Werkstatt.
Ich musste bloß noch drei Tage länger ausharren. Bis Dienstag. Dann würde Heilwich kommen, um mich zu holen.
Kapitel 30
Heilwich Martens
Lendelmolen, Flandern
G leich am nächsten Tag machte ich mich auf, um Katharina nach Hause zu holen. Es war Freitag und gut vier Tage, bevor ich Katharina eigentlich wieder besucht hätte. Ich machte mich bei Sonnenaufgang auf den Weg, gleich nachdem die Stadttore geöffnet worden waren. Es war ein guter Tag. Es war sonnig, und der warme Wind versprach milderes Wetter. Dennoch musste ich durch den Schlamm waten, den der Regen hinterlassen hatte. Ich versank tief darin, wann immer ich zur Seite treten musste, um einem entgegenkommenden Karren oder einem Pferd auszuweichen.
Aber ich hatte nun genügend Geld.
Ich musste nicht wie beim letzten Mal darauf warten, zur Mutter Oberin vorgelassen zu werden. Sie ließen mich sofort in das Kloster und führten mich direkt in ihre Gemächer. Sie klopften nicht einmal, bevor sie mich einließen.
Ich ging auf ihren Tisch zu, der Geldbeutel lag schwer in meiner Hand.
Sie hob ihren Kopf und sah mich mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an. Als sie schließlich sprach, war es nur ein Wort. »Du!« Sie wartete nicht einmal, bis ich auf sie zukam. Stattdessen eilte sie auf mich zu, packte meine Hand und zog mich dorthin zurück, wo ich hergekommen war. Sie ging so schnell, dass wir beinahe rannten.
»Ich bin wegen meiner Schwester hier. Katharina.«
»Ich weiß.« Sie zerrte mich hinaus in den Innenhof und auf die Kapelle zu.
Ich hielt inne, um meine Hand in das Weihwasser zu tauchen, doch sie zog mich so schnell mit
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