Die Blueten der Freiheit
wenn dem tatsächlich so war, dann konnte ich mir genauso gut gleich selbst das Leben nehmen, um meinen vielen Schuldherren die Mühe zu ersparen. Denn obwohl meine Schulden hoch waren, wusste jeder am königlichen Hof, dass das Vermögen, das ich erben würde, noch höher war.
Wäre ich bloß dort gewesen!
Hier auf dem Land konnte man nichts gewinnen, man holte sich bloß eine ordentliche Erkältung. Denn obwohl mein Vater so überschwenglich von ihnen schwärmte, haftete den bäuerlichen Landbewohnern hier nichts Edles an. Und den Kühen dieser Landeier ebenfalls nicht. Ich hätte die frische Luft von Orléanais liebend gerne gegen Madame Sainctots Salon in Paris eingetauscht. Gegen den Tabaknebel und die Gerüche von Dutzenden verschiedenen Duftwässern, die von der verrückten und endlosen Melodie eines Cembalos überlagert wurden. Gegen einen Ort, wo jedes Wort der Unterhaltung diente und voller Esprit ausgesprochen wurde … anstelle eines zerfallenden Châteaus, wo Worte für so banale Dinge wie die Geburt des letzten Kalbes oder den steigenden Wasserstand des Mühlbaches verschwendet wurden.
Ich sehnte mich nach den Spieltischen.
Dame, Hoc oder Hasard. Ich war nicht wählerisch. Alles auf den Wurf eines Würfels oder auf eine Karte zu setzen. Mein Gott! Das erforderte tatsächlich Mut. Das war wahrhaft gewagt! Doch das verstand die ländliche Bourgeoisie nicht. Wenn man während des Spiels ständig die Hände rang und das Gesicht verzog, warum sollte man dann überhaupt spielen?
Es hatte nichts mit Geld zu tun. Es hatte mit der Natur des Mannes zu tun. Dem Schicksal ins Auge zu sehen und es herauszufordern? Das erforderte starke Nerven. Nach einem gewonnenen Spiel genauso stoisch zu reagieren wie nach einem verlorenen? Das erforderte wahren Adel. Mein Vater hatte sich seinen Adelstitel auf dem Schlachtfeld erworben. Ich verdiente mir meinen, wenn die Würfel flogen und die Karten verteilt wurden.
Leider verpflichtete der Adel auch dazu, dass man ab und zu seine Schulden beglich … oder dass man zumindest keinen Zweifel darüber aufkommen ließ, es jederzeit zu können. Wenn mein Vater zu laut von seinem Vorhaben sprach, mich zu enterben, dann würde auch ich während des Spiels bald nur noch die Hände ringen.
Ich spazierte mit Gabrielle den Pfad entlang. Sie brauchte Bewegung, und ich wollte meinem Vater aus dem Weg gehen. Wenn man sich nicht wie Remy etwas aus der Falknerei, dem Reiten oder der Jagd machte, war es schwierig, sich hier auf dem Land vor ihm zu verstecken. Als wir uns am Ende unseres Spazierganges wieder dem Château zuwandten, sah ich, dass uns eine Gestalt am anderen Ende des Gartens beobachtete. »Da ist mein Vater. Er wirft mir finstere Blicke zu. Wieder einmal.«
»Er will doch nur Euer Bestes.«
»Er will nur sein Bestes. Das war schon immer so.«
»Er würde so gerne stolz auf Euch sein.«
Er wäre gerne stolz auf mich gewesen? War er denn jemals stolz auf mich gewesen? Er war stolz auf seine Jagdhunde, er war zufrieden mit seiner neuen Frau, er freute sich über die diesjährige Ernte. Aber er hatte noch nie auch nur im Entferntesten eines dieser Gefühle mir gegenüber gezeigt. Ich verbeugte mich, als wir bei meinem Vater angekommen waren. Dann ließ ich meine Stiefmutter von meinem Arm.
Sie bewegte sich mit der Anmut eines fetten Ochsen vorwärts.
»Meine Liebe.« Er reichte ihr seinen Arm. Sie nahm ihn und ging mit ihm fort, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Man konnte, was die Gesellschaft betraf, nicht wählerisch sein, wenn es so wenige Möglichkeiten gab, jemanden zu finden, der einem Gesellschaft leistete.
Und so trafen Gabrielle und ich uns am nächsten Tag wieder. Sie saß im Petit Salon und beschäftigte sich mit ihrer Stickarbeit, während ich vorgab zu lesen. Ich wünschte, sie hätte sich nicht dazu entschlossen, für ihre Arbeit die Farben Braungrau und Safrangelb zu verwenden. Beide Farben ließen die jeweils andere blass und fade wirken.
Plötzlich war vor dem Haus Geklapper zu vernehmen. Dann heulten die Jagdhunde.
Ich ging zum Fenster und warf einen Blick hinunter in den Innenhof. »Erwartet Ihr Besuch?«
»Hmmm?« Sie sah von ihrer Arbeit auf.
»Dort unten steht eine Kutsche. Es scheint ein Geistlicher zu sein.« Die Kutsche bestand aus geschnitztem Ebenholz und war mit glänzendem Gold beschlagen. Vor den Fenstern hingen purpurrote Vorhänge.
»Ich denke, das wird vermutlich Kardinal St. Florent sein.«
Aus welchem Grund kam der Kardinal
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